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Noemi Lerch erzählt von ihrem Praktikum an einer Schule in Nigeria

Noemi Lerch aus Courgevaux hat im Rahmen ihrer Ausbildung zur Sozialarbeiterin vergangenen Herbst/Winter ein Vorpraktikum beim Roten Kreuz in Lagos (Nigeria) absolviert. Über die Organisation ICYE (www.icye.ch) hat sie diesen Praktikumsplatz gefunden und möchte uns gerne etwas über ihre Erlebnisse erzählen.

von Marianne Oppliger
am
Noemie Lerch aus Courgevaux unterrichtete eine Kindergartenklasse in Lagos, Nigeria.

Noemi Lerch aus Courgevaux hat im Rahmen ihrer Ausbildung zur Sozialarbeiterin vergangenen Herbst/Winter ein Vorpraktikum beim Roten Kreuz in Lagos (Nigeria) absolviert. Über die Organisation ICYE (www.icye.ch) hat sie diesen Praktikumsplatz gefunden und möchte uns gerne etwas über ihre Erlebnisse erzählen.

Noemi, was hat Dich dazu bewegt, in Afrika ein Sozialpraktikum zu absolvieren?

Schon als Kind hatte ich den Wunsch, einmal in Afrika arbeiten zu wollen. So war ich von Anfang an bei der Auswahl des Einsatzlandes auf diesen Kontinent fokussiert. Es gab die Bereiche Gesundheit, Soziales oder Tiere. Daraus wählte ich das Kinderheim und die Schule des Roten Kreuzes Nigeria aus.

Wie hast Du Dich auf diesen Einsatz vorbereitet?

Ich besuchte Informationsveranstaltungen, die ICYE angeboten hatte, wo man unter anderem auf den Kulturschock vorbereitet wurde. Informationen über das Land einzuholen war schwierig, da es nicht viel Material gibt. «Nigeria sei gefährlich, dort gehe man nicht hin», war nicht das Motto, das man sich wünscht, wenn man in ein unbekanntes Land ausreist! Das hatte ich im Vorfeld unterschätzt und es war gewöhnungsbedürftig, ständig in Begleitung eines Einheimischen zu sein. Korruption und Entführungen sind dort alltäglich und sich allein ausserhalb der Gegend als Weisse zu bewegen, wäre definitiv zu gefährlich! Meine Gastfamilie hat mich sehr gut informiert und begleitet. Sie nahmen mich überall hin mit, von Beerdigungen bis zu Hochzeiten. Somit lernte ich die Kultur kennen und lernte auch Alltagssätze aus ihrer Sprache «Yoruba».

Wie sah Dein Tagesablauf im Heim und in der Schule aus?

Strukturen, wie wir sie kennen, gibt es an dieser Schule nicht. Ich musste mir meine Aufgaben selber suchen und herausfinden, wo ich gebraucht werde. So unterstützte ich beim Essen oder beim Spielen, da bei meiner Ankunft noch Ferienzeit war. Die Kinder sind ständig im Heim, weil sie keine Eltern haben, ausgesetzt wurden oder Eltern haben, die zurzeit nicht zu ihnen schauen können. Englisch kann jedes Kind nebst der Muttersprache Yoruba. Ich war die einzige Weisse in meinem Stadtteil. Sie nannten mich «Oyinbo», was die «Weisse» bedeutet. Die Kinder berührten meine weisse Haut und sahen in mir etwas Aussergewöhnliches. Zum Schulbeginn musste ich gleich eine Stellvertretung in der Schule antreten, ohne jegliche Kenntnis des Unterrichtens und ohne Stundenplan, Lehrplan, Unterrichtsmaterialien oder Unterlagen.

Die Schüler waren im Alter von 3-5 Jahren und so lehrte ich ihnen das ABC, das Zählen, Lesen und Schreiben. Als Abwechslung zum Unterrichten ohne Material nahm ich hier und da einen Ballon mit und wir spielten damit.

Gibt es einschneidende Erlebnisse aus dieser Zeit?

Ich hatte sehr grosse Mühe, wie mit den Kindern umgegangen wurde. Wenn sie nicht schön schrieben, nicht aufpassten oder «Seich» machten, wurden sie bestraft, dabei kam es oft zu Schlägen. Ich musste lernen, dies zu akzeptieren, da es in ihrer Kultur tief verankert ist. Da ich kein Kind in ihrem Sinn bestrafen konnte, war mein Unterricht zu Beginn entsprechend durcheinander! Wir besuchten auch regelmässig das Gericht, wobei es um die Kinder aus dem Heim ging. Dadurch ergab sich eine tiefe Verbindung und Vertrauen zwischen mir und den Kindern aus dem Heim. Ein für mich tiefgreifendes Erlebnis war die Geschichte eines Geschwisterpaares; eines 9-jährigen Jungen und seiner 7 Jahre alten Schwester. Beide Kinder wurden vor drei Jahren auf der Strasse gefunden. Über TV und Nachrichten wurden Angehörige gesucht, jedoch ohne Erfolg, das hat mich beschäftigt. Es gab viele solche Geschichten, einige waren noch schlimmer.

Was nimmst Du aus dieser Zeit in Nigeria mit?

Ich werde auf jeden Fall wieder dorthin gehen, weil ich einfach muss! Ich habe mich in die Kinder verliebt und das beruht auf Gegenseitigkeit. Alle zwei Wochen telefonieren wir per Skype miteinander, um den Kontakt möglichst gut zu erhalten. Die Erfahrung im Heim hat mein Leben unglaublich und nachhaltig geprägt! Nigeria – immer wieder. Ich bin viel dankbarer geworden und dankbar für meine Eltern, die mir Vertrauen und Liebe beigebracht haben.
 
Wir danken Noemie Lerch dafür, dass sie ihre Erfahrungen mit uns teilt.