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Von der Integration zur Inklusion: Der FC Murten wagt das Experiment

Seit einem Jahr führt der FC Murten eine dritte Mannschaft bestehend vorwiegend aus Spielern mit Migrationshintergrund. Das Ziel ist über die reine Integration hinauszugehen und die Inklusion anzustreben. Eine Bestandesaufnahme.

von Rainer Menning
am
Gruppenfoto der dritten Mannschaft des FC Murtens

Seit einem Jahr führt der FC Murten eine dritte Mannschaft bestehend vorwiegend aus Spielern mit Migrationshintergrund. Das Ziel ist über die reine Integration hinauszugehen und die Inklusion anzustreben. Eine Bestandesaufnahme.

Für viele junge Immigranten ist Fussball eine der wenigen Möglichkeiten den Alltag und das Erlebte für einen Moment zu vergessen. Seit einem Jahr bietet der FC Murten diesen Menschen die Möglichkeit, sich in einem professionellen Umfeld mit anderen Mannschaften zu messen.

Der FC Murten hat für die vergangene Saison 2022/23 eine Mannschaft, die ausschliesslich aus Menschen mit Migrationshintergrund besteht, für die 5. Liga des Kantons Freiburg angemeldet. Die Spieler stammen aus den verschiedensten Ländern, unter anderem aus Syrien, Afghanistan und Eritrea. Die Mannschaft wird unter den Beteiligten zärtlich und absolut wertfrei auch als «Flüchtlingsmannschaft» bezeichnet. Das Ziel für die kommende Saison wird sein, von der Integration zur Inklusion überzugehen, erklärt Daniel Mariano, Juniorenverantwortlicher FC Murten.

Daniel Mariano, Juniorenverantwortlicher FC Murten und verantwortlich für die dritte Mannschaft.

Erste positive Erfahrungen

Daniel Mariano ist ebenfalls verantwortlich für die dritte Mannschaft des FC Murtens und erklärt, wie das Experiment bis anhin angelaufen ist. «Die ersten Monate waren sehr positiv. Die Integration in den Club schreitet nach und nach voran. Insbesondere nahm die Mannschaft an bestimmten Vereinsveranstaltungen teil und konnte den anderen Spielern und ihren Eltern ihre Lebensgeschichten erzählen.»

Ein solches Projekt verursacht für einen Amateurverein, wie den unseren, erhebliche Kosten.

Kostenfaktor nicht unwesentlich

Der FC Murten beteiligt sich finanziell an der Ausrüstung und dem Zusammenstellen und der Aufrechterhaltung der Mannschaft. Da die Spieler in der Regel nicht oder kaum über die finanziellen Mittel verfügen, um sich den Fussballsport leisten zu können, springen Sponsoren oder der FC Murten ein. Wie Mariano erklärt, ist das Führen einer weiteren Mannschaft innerhalb des FC Murten mit erheblichen Mehrkosten verbunden. «Um die Beständigkeit des Teams aufrechterhalten zu können und das Projekt weiterzuentwickeln, sind wir auf Unterstützung ausserhalb des Vereins angewiesen. Ein solches Projekt verursacht für einen Amateurverein, wie den unseren, erhebliche Kosten. Ich spreche hierbei von den Pass- und Qualifikationsgebühren, den Registrierungsgebühren für die Meisterschaft, den Schiedsgerichtsgebühren, Disziplinarstrafen bis hin zur Miete von der Infrastruktur.» 

Fussballclub übernimmt auch Integrationsaufgaben

Da die Spieler über den ganzen Kanton verteilt wohnen, trainieren sie zurzeit in der Stadt Freiburg. Lediglich die Heimspiele absolviert die Mannschaft in Murten. Das Führen einer derartigen Mannschaft benötigt eine logistische Meisterleistung. Neben dem sportlichen Aspekt, spielt der gesellschaftliche für die «Flüchtlingsmannschaft» eine grosse Rolle. «Diese Menschen zu integrieren ist nicht einfach, aber wir sind sicher, dass der Fussball einen grossen Beitrag dazu leisten kann», so Mariano und führt weiter aus: «In der kommenden Saison wird der Fokus auf die Inklusion gesetzt.» Damit meint er, dass für diese Spieler eine Umgebung geschaffen wird, die nicht auf den sozial-kulturellen Hintergrund abgestützt ist.

Aus diesem Grund wurden bereits Ende der Saison 2022/23 Spieler aus den Junioren und andere aktive Spieler in die «Flüchtlingsmannschaft» einbezogen. Somit wird aus der ursprünglichen Idee, den Immigranten eine sinnvolle Freizeitmöglichkeit zu bieten, eine ganz normale Mannschaft, die der Freude am Fussball frönt.

Mariano kennt die Anliegen

Daniel Mariano leistet einen grossen Beitrag zum Gelingen und Vorwärtskommen der Mannschaft. Er selbst weiss aus eigener Erfahrung, wie es ist, sich in einem fremden Umfeld zurechtzufinden. «Als Sohn italienischer Einwanderer liegt mir dieses Projekt am Herzen.» Als Lehrer für französische Literatur an der Gewerblich Industriellen Berufsschule betreut er immer wieder Projekte und Aktivitäten, die sich mit dem Thema der Integration auseinandersetzen.

So leitet und betreut er seit 2015 interdisziplinäre Projekte seiner Schüler, die sich mit dieser Thematik auseinandersetzen oder auch Gedichtlesungen von Migranten, mit dem Ziel die oft schwierige Integration in der Gesellschaft zu fördern.

Integration hat Tradition beim FC Murten

Der FC Murten verfügt über eine lange Tradition bei der Integration von Spielern mit ausländischem Hintergrund. Bereits in den 50er und 60er Jahren - mit der ersten Welle an Gastarbeitern aus Spanien und Portugal - veränderte sich das Gefüge beim FC Murten. Heute haben viele Söhne dieser Arbeiter Funktionen im Vorstand oder als Trainer inne. Nach dem Zusammenbruch und der Neuordnung der Staaten der ehemaligen Sowjetunion fanden vorab Kinder der Flüchtenden aus den Balkanstaaten zum FC Murten. Seit dem Arabischen Frühling vom 2010 erreichen immer mehr Menschen aus Nordafrika und dem Nahen Osten den Weg nach Europa, in die Schweiz und schliesslich auch nach Murten.