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Jacqueline Keller tritt zurück: Die prägende Figur der Murten Classics im Interview

Jacqueline Keller hat die Murten Classics geprägt wie niemand anderes. In den letzten zwanzig Jahren hat die gebürtige St. Gallerin das Festival mit dem persönlichen Flair von einem Nischendasein zum nationalen Klassiker entwickelt.

von Joel Rathgeb
am

Jacqueline Keller hat die Murten Classics geprägt wie niemand anderes. In den letzten zwanzig Jahren hat die gebürtige St. Gallerin das Festival mit dem persönlichen Flair von einem Nischendasein zum nationalen Klassiker entwickelt.

Im Interview anlässlich ihres Rücktritts (unsereRegion berichtete über die Ankündigung ihres Rücktrittes) erzählt sie uns die schönsten Geschichten und Erlebnisse aus ihrer Zeit als Direktorin. 

Was hat Sie zu diesem Entscheid bewogen?
Ich bin ein Mensch, der es liebt, zu organisieren. Immer, wenn ich nebst einem vollen Tag noch zusätzliche Aufgaben zu erledigen hatte, hat mich das zusätzlich angespornt und motiviert. Ich merkte, dass dies bei mir Endorphine freigesetzt hat. Ich habe mir aber immer gesagt: Sobald der Moment kommt, wo mich solche Situationen stressen, muss ich damit aufhören, sonst kann ich nicht mehr meine beste Leistung abrufen. Dies war während der Pandemie der Fall.

Wie sah dein Alltag als Direktorin aus?
Da muss ich klar zwischen dem Festivalbetrieb und der Vorbereitung unterscheiden. Nach meiner Banklehre sagte ich mir: Ich beginne nie mehr vor 9 Uhr zu arbeiten. Mein Tag fängt also zwischen 9 und 10 Uhr an. Zuerst mache ich meistens eine oder zwei Stunden administrative Arbeiten. Man darf nicht vergessen, dass die Murten Classics nur eine Vollzeitstelle bewirtschaftet, und das ist meine. Am Nachmittag traf ich meistens verschiedene Leute. Einerseits ging es darum, Sponsoren zu finden und zu betreuen. Andererseits muss man sich als Direktorin um die Musikerinnen und Helfer kümmern.

Während dem Festival im August fängt mein Tag schon früh an, 9 Uhr reicht da nicht (lacht).  Da geht es meistens um schnelle Entscheidungen, zum Beispiel wenn das Wetter wechselhaft ist oder wenn ein Musiker oder eine Helferin ausfällt. Häufig endet der Tag beim Glas Wein mit dem Orchester nach dem Auftritt, das gehört einfach dazu.

Archivbild unsereRegion

Gibt es einen speziellen Moment, der Ihnen besonders gut in Erinnerung geblieben ist?
Auf der negativen Seite ist dies die Corona-Pandemie. Am Ende der Murten Classics 2021 war ich nur noch am Weinen. Da war ich nah am Burnout.

Positiv waren viele Momente. Am besten in Erinnerung blieb mir jedoch ein Abend. Damals trat die spanische Pianistin Judith Jauregui an den Murten Classics auf. Sie verweilte fast zwei Wochen bei uns in Murten. Sie kam ziemlich kaputt an, es ging ihr psychisch schlecht. Natürlich haben wir sogleich angefangen, sie aufzubauen. Am Konzert in der Kirche Meyriez unterbrach sie nach 15 Minuten das Stück. Unter Tränen dankte sie dem Festival und dem ganzen Team für die unglaubliche Hilfe während den letzten zwei Wochen. Sie habe die Freude am Spielen dank den Murten Classics wieder gefunden. Danach spielte sie weiter. Das Publikum war völlig aus dem Häuschen!

Ebenfalls in guter Erinnerung habe ich eine weitere Geschichte: Einer der Künstler hat am Vorabend seines Auftritts abgesagt. Innerhalb von 24 Stunden einen passenden Ersatz zu finden, ist fast unmöglich. Trotzdem rief ich den Pianisten Gianluca Luisi an, der das Telefon im süditalienischen Bari abnahm, Ich erzählte ihm, in welcher Situation ich war. Er zögerte nicht lange und fuhr die ganze Nacht durch, um dann um halb 10 Uhr am nächsten Tag in Murten sein Stück zu proben. Am Abend spielte er ein hervorragendes Konzert. Das sind so Momente, wo einem Flügel wachsen!

Welches war die grösste Herausforderung in deiner Zeit als Direktorin?
Das ist ganz klar die Veränderung der finanziellen Situation der Kulturbranche in den letzten fünf Jahren. Das hat mit dem Generationenwechsel der Sponsoren zu tun. Die Entscheidungsträger*innen möchten heute einen monetären Wert sehen, wenn sie ein Festival sponsern. Das war früher anders, da wurden solche Anlässe aus ideologischen Gründen unterstützt.

Archivbild unsereRegion

Was würdest du anders machen, wenn du auf deine 20 Jahre als Direktorin zurückblickst?
Ich glaube, ich würde früher beginnen, das Team zu erweitern. Ich besetzte die einzige bezahlte Stelle nebst dem Künstlerischen Leiter. Mindestens eine Teilzeitstelle für Presse und Marketing wäre optimal.

Wast hast du nun vor mit der freien Zeit?
Ich gebe die Direktion in Raten ab. Dieses Jahr mache ich noch das Tagesgeschäft und nächstes Jahr die Produktion des Programms zusammen mit dem künstlerischen Leiter Christoph-Matthias Müller. Was danach kommt, weiss ich noch nicht. Ich weiss aber, was ich nicht will. Und das ist manchmal wichtiger im Leben (lacht). Ich werde sicher keine Arbeit mehr machen, wo es darum geht, ständig Geld reinzuholen.

unsereRegion bedankt sich für das Interview und wünscht Jacqueline Keller alles Gute für die Zukunft.

Archivbild unsereRegion