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Biber – eine Einladung zur fruchtbaren Koexistenz

Biber-Arbeitsplätze am Broye-Kanal bei Sugiez Ende Februar. Wie immer löst dieser Anblick in mir sehr gemischte Gefühle aus. Wie vermutlich bei vielen anderen Menschen auch. Ich blicke zu den wunderschönen, alten Bäumen auf und werde traurig bei dem Gedanken, dass ihre Tage wohl gezählt sind. Wenn ich auch weiss, dass Weiden unglaublich vital und widerstandfähig sind und aus den Stümpfen wieder austreiben werden – die stattlichen Bäume sind für viele Jahrzehnte verloren. Wieder einmal frage ich mich, warum diese Bäume nicht durch Drahtgitter vor den Biber-Zähnen geschützt werden.

von Kerstin Heine
am

Biber-Arbeitsplätze am Broye-Kanal bei Sugiez Ende Februar. Wie immer löst dieser Anblick in mir sehr gemischte Gefühle aus. Wie vermutlich bei vielen anderen Menschen auch. Ich blicke zu den wunderschönen, alten Bäumen auf und werde traurig bei dem Gedanken, dass ihre Tage wohl gezählt sind. Wenn ich auch weiss, dass Weiden unglaublich vital und widerstandfähig sind und aus den Stümpfen wieder austreiben werden – die stattlichen Bäume sind für viele Jahrzehnte verloren. Wieder einmal frage ich mich, warum diese Bäume nicht durch Drahtgitter vor den Biber-Zähnen geschützt werden.

Anfang des 19. Jahrhunderts war der Biber in der Schweiz ausgerottet. Er war wegen seines wertvollen Pelzes und seines Fleisches exzessiv gejagt worden. Nachdem er in den 1950er-Jahren wieder angesiedelt wurde, hat er sich so gut verbreitet, dass er inzwischen auf der Roten Liste nicht mehr unter den gefährdeten Arten steht. Auf knapp 5000 Exemplare schätzt das BAFU (Bundesamt für Umwelt) den Schweizer Bestand des mit 20-30 kg Gewicht grössten Nagetiers Europas aktuell. Tendenz weiter steigend. Allerdings ist der Biber nach wie vor durch das Jagdgesetz geschützt. Er darf weder getötet noch vertrieben werden. Auch seine Bauten dürfen nicht zerstört werden – von amtlich berufenen Fachleuten abgesehen.
 
Bei der Frage «Biber oder Bäume» komme ich selbst als leidenschaftliche Sowohl-als-auch-Verfechterin und Naturliebhaberin ins Trudeln. Denn scheinbar schliesst ein wachsender Biber-Bestand einen gleichbleibenden Baum-Bestand aus. Wie kaum ein anderes Tier verändert der Biber seinen Lebensraum. Um sich und seinen Nachwuchs vor Feinden zu schützen, baut er z. T. riesige Burgen, durch die er kleine Gewässer staut. Diese Dämme schaffen neuen Lebensraum für wasserliebende Arten –überschwemmen aber unter Umständen auch Gärten oder landwirtschaftlich genutzte Flächen. Seine Tunnel-Grabungen können sogar Gebäude und Strassen unterminieren und absacken lassen. Daraus ergibt sich in der eng besiedelten Schweiz rasch Konfliktpotential.

Die Sorge um die Bäume lässt auch mich mit den Bibern hadern, auch wenn ich grosse Freude an der gelungenen Wiederansiedlung und zunehmenden Verbreitung dieser Wildtiere habe. Es ist ein zweischneidiges Schwert: Einerseits fördert der Biber mit seiner Arbeit und seiner genialen Baukunst die Artenvielfalt, in dem der Landschaften gestaltet und neue Feuchtgebiete und Lebensräume für viele Tier- und Pflanzenarten schafft. Andererseits macht er sich mit seinen eigenmächtigen Eingriffen in die Landschaft und seine Baumfällungen weder bei Landwirt*innen noch Gärtner*innen oder in der Forstwirtschaft sehr beliebt. Und selbst Spaziergänger*innen machen kahl«geschlagene» Ufer durch reihenweise von Biber-Zähnen umgelegte Bäume nicht uneingeschränkt Freude.

Und es gibt natürlich auch höherinstanzliche Betroffene und Beteiligte in der Biber-Frage: Während das BAFU intensiv den Einfluss des talentierten Baumeisters auf die ökologische Infrastruktur, z. B. auf den Kohlen- und Stickstoff-Gehalt und die Temperatur der Gewässer und die Fischwanderung erforscht, muss sich die Politik mit sinnvollen Ausgleichszahlungen für Biber-verursachte Schäden in Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft befassen. Ohne die wohlwollende Unterstützung von Bund und Kantonen geht es nicht. Allerdings wird die Schadensregulierung in den Kantonen sehr unterschiedlich gehandhabt.

Hier liegt sicherlich noch viel Potential in der positiven Gestaltung der Koexistenz von Mensch und Biber mit ihren sich teilweise widersprechenden Bedürfnissen. Den Gestaltungsdrang dieses Wildtieres als Chance für Natur und Mensch zu betrachten, fällt vielleicht (noch) nicht allen leicht. Nicht alle stimmen dem Leiter der Biberfachstelle, Christof Angst zu, wenn er sagt: «Die Rückkehr des Bibers ist ein Glücksfall für die Natur und für uns Menschen.»
 
Aber wenn wir uns vor Augen führen, was der Biber durch seine Arbeit bewirken kann, gelingt es uns, unsere Perspektive zu erweitern: Libellen, Amphibien, Fische und Wasserpflanzen kehren an vom Biber umgestaltete Gebiete zurück, aus denen sie verschwunden waren. Auch der Eisvogel jagt dort wieder. Die Anzahl der Arten steigt in diesen Gebieten stark an. Es entstehen vom Kleinsttümpel zum tiefen Teich, vom Totholzhaufen zur sonnendurchfluteten Waldfläche, neue Lebensräume, die zahlreichen Lebewesen Nahrung, Fortpflanzungsplätze und Versteckmöglichkeiten bieten.
 
Claudine Winter vom BAFU ist überzeugt: «Wenn wir das Potenzial des Bibers gezielt nutzen und ihm den nötigen Raum zur Verfügung stellen, wird er ein wichtiger Partner für die Erhaltung und Förderung der Biodiversität und damit unserer Lebensgrundlage».
 
OK, ich nicke zustimmend und überlasse die Bäume am Broye-Kanal ihrem natürlichen Schicksal. Der Mensch fällt schliesslich unvergleichlich viel mehr Bäume zu seinen – aus meiner Sicht oft auch fragwürdigen – Zwecken als der Biber.

Biber-Steckbrief:

Länge: 100 – 130 cm
Gewicht: 20 – 30 kg
Nachwuchs: 1x jährlich, 1 – 4 Junge von April – Juni
Lebenserwartung: 10 – 15 Jahre
Aktivität: Dämmerung und Nacht