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Weckruf der Bauern: Ein starkes Zeichen, dass deren Stimme gehört werden will

Am Wochenende kam es an mehreren Orten zu friedlichen Bauernprotesten. Mehrere hunderte Traktoren machten auf die Anliegen der Landwirte aufmerksam, so auch in Kerzers.

von Rainer Menning
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Am Wochenende kam es an mehreren Orten zu friedlichen Bauernprotesten. Mehrere hunderte Traktoren machten auf die Anliegen der Landwirte aufmerksam, so auch in Kerzers.

Seit Wochen häufen sich in Europa die Bauernproteste. Die Forderungen sind überall dieselben: Abbau der Bürokratie, Verbesserung der Bedingungen zum Anbau von landwirtschaftlichen Produkten, vorab faire Produzentenpreise. Die Schweiz blieb lange aussen vor bei diesen Protesten. Am Wochenende kam es nun zu einem «Weckruf» in der Region. An mehreren Standorten im Kanton Bern und Freiburg fanden am Freitagabend «Mahnwachen mit Traktoren» statt - so auch in Kerzers.

Organisiert wurde der sogenannte «Weckruf Bauern Bern» von der Gruppierung Bauern Bern. Hinter dieser Gruppierung stecken Bauernfamilien aus dem Kanton Bern und Freiburg, die sich anlässlich der bäuerlichen Protestbewegungen in ganz Europa zusammengefunden haben und aktiv werden wollen, schreibt die landwirtschaftliche Zeitung «Schweizer Bauer» in seinen sozialen Medien.

Friedlicher Protest

In der Region fand der Protest auf dem Parkplatz beim Papiliorama in Kerzers statt. Unzählige Traktoren versammelten sich friedlich und ohne die Bevölkerung zu stören oder zu beeinträchtigen. Als starkes Zeichen formierten die Traktoren ein riesiges SOS, um auf die Dringlichkeit ihrer Anliegen aufmerksam zu machen. Unter den Protestierenden befand sich auch Stefan Krähenbühl vom Biohof am Murtensee.  Im Gespräch mit unsereRegion schildert er, wie er den Anlass erlebt hat und wie es weitergehen wird.

Stefan Krähenbühl vom Biohof am Murtensee

Wie hast du persönlich die Protestaktion, oder besser gesagt den Weckruf, vom Freitagabend erlebt?
Es war ein unglaubliches Erlebnis gewesen. Es ging unter die Haut mit anzusehen, wie die Traktoren im Abendlicht aufliefen. Dazu kam das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Solidarität, die am Ort vorherrschten, einfach beschreibbar.

Ein gelungener Anlass also?
Ja, und was ich persönlich sehr stark erlebt habe, die Bauern konnten hier auftanken. Sie haben gemerkt, sie sind nicht alleine. Wir haben alle dieselben Probleme, ob Gemüsebauer, Milchbauer, Getreidebauer oder Winzer. Und das tat gut. Es ging eine Solidarität durch die Menge und auch eine Bereitschaft, dass das war wir hier in Kerzers angestossen haben, auch in Zukunft wiederholt werden wird.

Wie wart ihr präsent in Kerzers?
Wir waren gleich mit fünf Traktoren in Kerzers. Wieso? Ich hatte auf Whatsapp vermeldet, dass ich noch weitere Traktoren zur Verfügung hätte, und es haben sich spontan Leute gemeldet. Ein 17jähriger Junge und eine 19jährige Frau, welche beide keinen landwirtschaftlichen Hintergrund haben, aber die Aktion gut fanden. Das hat mich natürlich sehr gefreut. Schliesslich haben sich noch zwei Personen aus der Waadt gemeldet.

Und du musstest zu Fuss gehen?
Nein, ich selbst bin mit dem ältesten Traktor auf Kerzers gefahren. Wir beide zusammen – der Traktor und ich – sind 75 Jahre alt.

Was war das schönste Erlebnis?
Was mich bereits im Vorfeld beeindruckt hat, ist, dass die Aktion von der Bevölkerung geträgt wird. Auch jetzt am Tag danach, habe ich viele aufmunternde Kommentare auf den sozialen Medien erfahren. Die Bevölkerung in unserer Region versteht die Anliegen der Landwirte. Das ist sehr schön, denn sie wissen, dass es so nicht weitergehen kann.

Wo drückt der Schuh bei den Landwirten im Seebezirk am meisten?
Im Seebezirk hat es viele spezialisierte Betriebe im Bereich Weinbau, Gemüseanbau und auch in der Milchproduktion. Im Falle der Gemüsegärtner ist es so, dass der Bund immer wieder Wirkstoffe von der Liste erlaubter Produkte wegnimmt, also verbietet. Ich vergleiche es mit der Gesundheitsbranche, ein Arzt kann ohne Medikamente, irgendeinmal auch nicht mehr arbeiten. Irgendeinmal kann ein Gemüsegärtner ohne Pflanzenschutzmittel nicht mehr richtig arbeiten. Das ist ein Punkt, den die Politik und die Bevölkerung noch nicht eingesehen hat. Ich bin selbst Biobauer und auch ich bin im Krankheitsbefall auf den Einsatz von Pfanzenschutzmittel angewiesen, vorab bei Kartoffeln und Gemüse. Dabei handelt es sich natürlich um biologische Pflanzenschutzmittel wie Kupfer oder Bakterienpräparate, aber ganz ohne geht es nicht.

Was für mich persönlich auch noch ein wichtiger Punkt ist, ist der Druck vom Grossverteiler.

Wir werden «gezwungen» bei Aktionen mitzumachen, bei welchen wir als Landwirte unter den Herstellungskosten verkaufen müssen. Falls sich ein Bauer weigert mitzumachen, ist er draussen. Konkret bedeutet das, wenn zum Beispiel im Dezember eine Aktion stattfindet, dann teilt uns der Grossverteiler über seinen Handelspartner den Preis mit und wir können Ja oder Nein sagen. Bei einem Nein ist die Wahrscheinlichkeit hoch, nach der Aktion nicht mehr angefragt zu werden. Bei gewissen Produkten kann der Grossverteiler auch auf Importware zurückgreifen. Zum Beispiel bei Süsskartoffel besteht kein Grenzschutz und es findet sich jederzeit ein ausländischer Produzent in einem Billiglohnland, welcher natürlich nicht nach den Schweizer Richtlinien produzieren muss. Sinngemäss würde dieses Vorgehen vom Grossverteiler so aussehen: Als Landwirtschaftslehrer würde mir mein Arbeitgeber, der Kanton, vorschlagen, im März einen Tag pro Woche ohne Lohn zu unterrichten. Sofern ich nicht einwillige, werde ich gekündigt!

Welche Rolle spielt die Bürokratie bei all dem?
Uff, eine Forderung ist ja der Abbau der Bürokratie; dazu ein Beispiel. Ich kenne den Medikamenteneinsatz der letzten 15 Jahre von meinen 70 Rindern und Kühe. Das kann ich innerhalb von einer Viertelstunde belegen. Bei meinen drei Kindern kenne ich weder die Menge noch das Datum der Algifor-Gaben. Das heisst für mich, wir haben bereits jetzt ein umfassendes Wissen über den Einsatz von Medikamenten und haben den Einsatz der Antibiotika um 50% gesenkt! – und das ist Bürokratie -, aber das reicht dem Anschein nach noch nicht aus. Mit der Einführung eines neuen Systems Digiflux soll das noch ausgeweitet werden. Was die Politik in diesem Zusammenhang nicht in Betracht zieht, ist, dass wir nur so wenig Pflanzenschutzmittel anwenden wie nötig, das ist immer auch ein Kostenfaktor und wir wägen genau ab.

Was stört dich persönlich am meisten?
Die Bevölkerung verwechselt immer noch Subventionen mit Direktzahlungen. 97 Prozent der Bevölkerung hat wenig oder keine Kenntnisse von den Direktzahlungen. Ein Beispiel: Als Landwirtschaftslehrer erhalte ich meinen Lohn vom Steuerzahler als Kantonsangestellter. Als Biobauer erhalte ich gemessen am Umsatz 12 Prozent vom Bund, und dies in Form von Direktzahlungen. Die übrigen 88 Prozent erhalte ich aus dem Verkauf von Gemüse und Milch. Konkret bedeutet das, dass ich einen Monat im Jahr meinen Leistungsauftrag vom Kanton oder Bund abarbeite und die restlichen elf Monate lebe ich vom Verkauf der Produkte, die ich anbaue. Direktzahlungen sind keine Subventionen, sondern Abgeltungen für das Mandat, das wir erhalten haben, um so zu produzieren, wie das von der Politik und der Gesellschaft verlangt wird.

Wie geht es weiter?
Im Seebezirk werden wir erst einmal die Fastnacht vorbeiziehen lassen. Wir werden aber bereits in der nächsten Woche wieder zusammensitzen. Geplant ist ein Anlass auf dem Bodemünzi und wir werden sicher wieder die Traktoren hervornehmen.

Ein Schlusswort zur «Versöhnung»?
Was vielleicht noch zu erwähnen ist, dass wir immer offen sind für das Gespräch. Alle Konsumentinnen und Konsumenten sind dazu eingeladen, uns bei künftigen Aktionen zu besuchen und mit uns ins Gespräch zu kommen.

So schön und friedlich kann ein Protest aussehen (Fotos: Christian Aeschlimann)