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Warum die Kirche ‘Saint-Pierre’ in Môtier in Blau erstrahlt

Mit der Aktion 'Light up the Night for ME!' sollen am 12. Mai Politik und Öffentlichkeit für die prekäre medizinische und sozialstaatliche Situation von ME-Patientinnen und Patienten sensibilisiert werden

von Esther Zangger
am
Église de Môtier, Vully / Foto: Verena Studer

Mit der Aktion 'Light up the Night for ME!' sollen am 12. Mai Politik und Öffentlichkeit für die prekäre medizinische und sozialstaatliche Situation von ME-Patientinnen und Patienten sensibilisiert werden

Am 12. Mai erstrahlen weltweit zum neunundzwanzigsten, in der Schweiz zum zweiten Mal öffentliche Gebäude und Sehenswürdigkeiten in der Awareness-Farbe Blau. Die Aktion 'LightUpTheNight4ME!' setzt sich dafür ein, Betroffenen der schweren neuroimmunologischen Erkrankung ME (Myalgische Enzephalomyelitis) Gehör zu verschaffen, da viele Betroffene nicht mehr in der Lage sind, selbst auf ihre Situation aufmerksam zu machen.

--- > Auch für die Region Murten werden noch Mitwirkende gesucht <---

Dringender politischer Handlungsbedarf

An der Aktion engagieren sich Menschen weltweit für eine Verbesserung der medizinischen Versorgung und dringend benötigte Forschungsförderung. Prof. Dr. med. Carmen Scheibenbogen leitet am Institut für Medizinische Immunologie (IMI) an der Berliner Charité wegweisende ME/CFS-Forschung. Die Schweiz hinkt Jahrzehnte hinterher, benötigt mit inzwischen ungefähr 60’000 Betroffenen (die Dunkelziffer ist schwer zu bestimmen) jedoch dringend mindestens ein grosses Kompetenzzentrum mit stationären Langzeitaufnahme-Möglichkeiten für ME-Patientinnen und -Patienten.

Gstaad Palace Hotel / Foto: Esther Saake

Da ME häufig noch nicht in den universitären Curricula verankert ist, fehlt grossen Teilen der Ärzteschaft das Wissen zu ME. Dies manifestiert sich für Betroffene in einer prekären medizinischen Versorgungslage: In der Regel wird die Erkrankung nicht oder erst sehr spät korrekt erkannt. Durch eine psychosomatische Fehleinordnung werden immer wieder kontraindizierte aktivierende Therapien angeordnet, die zu nachhaltigen Zustandsverschlechterungen bis hin zur Bettlägerigkeit führen können. Daher ist es dringend notwendig, dass ME im Medizinstudium verankert wird und Ärztinnen und Ärzte -insbesondere auch IV-Gutachterinnen und -Gutachter- über ME aufgeklärt werden.

Was ist ME?

Myalgische Enzephalomyelitis ist eine schwere, derzeit unheilbare, neuroimmunologische Multisystemerkrankung. Sie entsteht häufig durch eine Virusinfektion, zum Beispiel nach einer Ebstein-Barr-Virus-Infektion (EBV-Infektion) oder Influenza. Auffälligkeiten zeigen sich auch im Bereich des Energiestoffwechsels.

Obwohl die Erkrankung von der WHO als neurologische Erkrankung klassifiziert wurde (ICD-10. G93.3), ist die Lage für alle Betroffenen bis heute katastrophal. Laut einer Studie der Aalborg Universität in Dänemark ist die Lebensqualität von ME-Erkrankten niedriger als die von Multiple Sklerose-, Schlaganfall- oder Lungenkrebspatienten.

«ME-Patientinnen und -Patienten kämpfen mit einer starken Stigmatisierung ihrer Erkrankung sowie einem auch bei Ärzten immer noch weit verbreiteten Unwissen über Art, Schwere und Komplexität der Krankheit», so Jonas Sagelsdorff von der Schweizerischen Gesellschaft für ME & CFS. «Als Folge davon haben sie oftmals keinen Zugang zu eigentlich selbstverständlicher medizinischer Basisversorgung. Eine kompetente Abklärung ist lebenswichtig, damit Betroffene sowohl in medizinischer als auch in rechtlicher Hinsicht anerkannt werden.» Nachweise für Arbeitgeber, Sozialdienste oder Invalidenversicherung sind essentiell – auch für leicht oder moderat Betroffene, denen man die Krankheit äusserlich nicht immer ansieht. Doch auch sie können kein normales Leben mehr führen und sind schwer beeinträchtigt.

Betroffene und ihre Angehörigen stehen oft vor Unverständnis. Fälschlicherweise werden Depressionen oder eine gewöhnliche Erschöpfung vermutet, da jeder sich gelegentlich müde und erschöpft fühlt. So werden ME-Patientinnen und Patienten mit Sätzen konfrontiert wie: ‘Vielleicht sollten Sie doch nochmals einen Psychiater aufsuchen’, ‘Geh doch mal an die frische Luft’ oder ‘Leg dich einfach ein Stündchen hin’. Auch Medical Gaslighting durch die Ärzteschaft ist bei ME-Erkrankten allgegenwärtig und stellt Betroffene immer wieder vor die Herausforderung, für Wahrnehmung und Ernsthaftigkeit ihrer Symptome kämpfen zu müssen. Im Gegensatz zur 'normalen' Erschöpfung sind die ME-Patientin und der ME-Patient jedoch schwer krank. Sie wollen, aber können einfach nicht - der Körper versagt schlichtweg seine Dienste.

Loeb Bern / Foto: Larissa

Kleinste Anstrengung führt zu massiver Symptomverschlimmerung

Myalgische Enzephalomyelitis (ME) ist eine Erkrankung des Nervensystems, die auch unter dem Oberbegriff ME/CFS subsummiert wird und stellt nach wie vor eine Herausforderung für die Forschung dar. ME zeichnet sich durch eine überwältigende Symptomverschlimmerung aus, die sich manchmal sogar nach minimalsten Anstrengungen wie einem Telefongespräch, Zähneputzen, einem Formular ausfüllen oder Lesen zeigt. Betroffene weisen oft keine auffälligen Laborergebnisse vor, aber eine frühzeitige und präzise Diagnose wäre entscheidend, um eine angemessene Unterstützung zu ermöglichen.

Viele ME-Patientinnen und Patienten waren vor ihrer Erkrankung aktiv und haben Sport getrieben. Plötzlich geht jedoch nichts mehr. Leicht oder moderat Betroffene können noch spazieren gehen, schwerer Betroffenen fällt nur schon die tägliche Körperpflege schwer und schwer Betroffene sind oft auf einen Rollstuhl angewiesen oder können das Bett nicht mehr verlassen.

Abgrenzung zu anderen Krankheiten

Bei Ärztinnen und Ärzten, die nicht zu ME geschult sind, kann es zu Fehldiagnosen wie Depression oder Burnout kommen, wenn nur auf das Symptom Fatigue fokussiert wird. Auch zur Multiplen Sklerose bestehen Überschneidungen in der Symptomatik. Eine Abgrenzung dazu ist jedoch ausschlaggebend: Therapieansätze wie etwa Aktivierung, die bei Depressionen hilfreich ist, können bei einem an ME Erkrankten zu irreparablen Schäden führen. Auch stationäre Aufenthalte in ‘normalen’ Kliniken mit herkömmlichen Therapien sind nicht zielführend, sondern kontraproduktiv.

Das Symptom Fatigue, das auf Basis einer Grunderkrankung wie zum Beispiel Krebs, Herzinsuffizienz, MS oder einer belastenden Therapie wie Chemo entsteht, äussert sich anders als ME. Fatigue-Patienten fühlen sich eher müde als erschöpft. In Ruhe fühlt sich der oder die Fatigueerkrankte meist wieder besser, was bei ME nicht der Fall ist. Der Unterschied: Jede noch so geringe Anstrengung führt bei ME-Patientinnen und -Patienten zu einer massiven, Tage oder Wochen anhaltenden Erschöpfung mit schwerem Krankheitsgefühl (PENE = Post-Exertional Neuroimmune Exhaustion). In dieser auch ‘Crash’ genannten Phase bringen auch Ruhe und Schlaf keine Besserung.

Hotel Schweizerhof Luzern / Foto: Suzanne Aarsen

Im Gegensatz zur ME entsteht ein Burnout langsam auf Basis lange anhaltender Überlastung. Die für ME typische massive und anhaltende Erschöpfung nach kleinsten Anstrengungen tritt so beim Burnout nicht auf. Typisch für Depressionen sind gedrückte Stimmung und Antriebslosigkeit - der ME-Patientin oder dem ME-Patient fehlt es im Gegensatz dazu nicht am Antrieb, er kann aber nicht, weil der Körper seine Dienste versagt. Während sich eine Depression meist schleichend entwickelt, kann eine ME plötzlich auftreten.

Katastrophale Zustände

Die Situation ist verheerend. Betroffene sind verzweifelt und ratlos. Ihre Krankheit schränkt sie im Alltag extrem ein und der ständige Kampf mit Behörden und Ämtern frisst Energie, die sie eigentlich nicht mehr haben: Zustandsverschlechterung bis hin zur Bettlägerigkeit sind die Folge. Sowohl die medizinische Versorgung wie auch die sozialstaatliche Absicherung für ME-Erkrankte sind in der Schweiz quasi inexistent. Jonas Sagelsdorff: «ME ist den Verantwortlichen in den Sozialversicherungen weitestgehend unbekannt, in der Folge sind Betroffene für ihren Lebensunterhalt in der Regel von Angehörigen abhängig.»

Im Gesundheitswesen herrscht eine ablehnende Haltung und die IV stuft die Krankheit (entgegen dem internationalen Forschungskonsens!) als psychosomatisches Leiden ein. Wenn doch mal IV-Renten gutgesprochen werden, geschieht dies meist nicht für ME, sondern für eine Begleiterkrankung oder gar für eine Fehldiagnose - eine absurde Situation, denn die Krankheit, die zur Rente berechtigt, ist oft weniger einschränkend als ME.

Tinguely-Brunnen, Stadtverwaltung Basel / Foto: Bild Lukas Meili

Weil ME nach wie vor viel zu wenig bekannt ist, müssen Patientinnen und Patienten häufig sehr lange auf die richtige Diagnose warten - manchmal Jahre oder gar Jahrzehnte. Da leicht bis moderat Betroffene kaum krank wirken und nicht mit auffälligen Laborwerten aufwarten können, wird die Schwere ihrer Krankheit selbst von Ärzten und Therapeuten oft nicht erkannt.

Bis eindeutige Labortests, Leitlinien zur Diagnose und eine angepasste Therapie vorliegen, ist noch sehr viel Forschungsarbeit nötig. Doch nur, wenn diese vorliegt, kann ME als eigenständige Krankheit anerkannt und Betroffene medizinisch und psychosozial dementsprechend angemessen behandelt werden.

Unterstützen auch Sie die Aktion 'Light up the Night for ME!'

Beteiligen auch Sie sich deshalb am 12. Mai an der Aktion ‘Light up the Night for ME!’ und beleuchten Sie ein Gebäude oder eine Sehenswürdigkeit in der Awareness-Farbe Blau. Jede Unterstützung trägt für eine Verbesserung der medizinischen Versorgung und die dringend benötigte Forschungsförderung bei.

Mitmachen

Publikationen für Ärzte

SGME Namhafte Studien

MECFS Übersicht für Ärzte

Internationale Konsensuskriterien

Fragebogen

The mental health burden in ME/CFS patients in Switzerland

Warum die psychosomatische Sicht auf ME/CFS Betroffenen schadet

Pathophysiologie

ME/CFS-Organisationen

Schweizerische Gesellschaft ME/CFS

Schweizerischer Verein ME/CFS

Österreichische Gesellschaft ME/CFS