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Saatgutproduzenten garantieren unsere Versorgung in Krisenzeiten

Der Herbst ist Erntezeit. Während der grösste Teil davon als Lebensmittel wieder in den Handel gelangt, sind einige Landwirte darum bemüht, das Saatgut für die nächsten Aussaaten bereitzustellen. Rudolf Herren aus Lurtigen ist einer dieser Saatgutproduzenten.

von Rainer Menning
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Der Herbst ist Erntezeit. Während der grösste Teil davon als Lebensmittel wieder in den Handel gelangt, sind einige Landwirte darum bemüht, das Saatgut für die nächsten Aussaaten bereitzustellen. Rudolf Herren aus Lurtigen ist einer dieser Saatgutproduzenten.

Die Ernährungssouveränität und der Selbstversorgungsgrad eines Landes entscheiden in schwierigen Zeiten darüber, wie gut ein Land dasteht und vor allem wie lange es eigenständig überleben kann. In einer globalisierten Weltordnung besteht die Gefahr, sich auf dem freien Markt beim billigsten Anbieter zu bedienen und die heimische Produktion zu vernachlässigen.

Dies gilt nicht nur für landwirtschaftliche Produkte, sondern betrifft die gesamte Wertschöpfungskette. Diese Mechanismen – sich auf der ganzen Welt zu bedienen - funktionieren immer so lange gut, bis es zu Turbulenzen im System kommt. Das können grössere Naturkatastrophen sein oder wie in der letzten Zeit häufiger vorkommend, kriegerische Auseinandersetzungen.

Schweiz müsste nicht hungern

Die sichere Ernährung der Bevölkerung ist in der Bundesverfassung verankert. Im Artikel 104 «Landwirtschaft» steht festgehalten: Der Bund sorgt dafür, dass die Landwirtschaft durch eine nachhaltige und auf den Markt ausgerichtete Produktion einen wesentlichen Beitrag leistet zur sicheren Versorgung der Bevölkerung. Gemäss dem Agrarbericht vom 2022 weist die Schweiz aktuell einen Selbstversorgungsgrad von 56 Prozent brutto und 49 Prozent netto auf.

Saatgut auch aus der Region Murtensee

Um das Saatgut für diese Selbstversorgung sicherzustellen sind auch in der Schweiz Landwirte damit beschäftigt Jahr für Jahr für einen sicheren Nachschub an einwandfreiem und zertifiziertem Saatgut zu sorgen. Rudolf Herren aus Lurtigen ist seit rund 25 Jahren Saatgutproduzent. Er produziert Saatgut von Kartoffeln, Brotweizen, Triticale und Eiweisserbsen. Gegenüber unsere Region erklärt er, was es auf sich hat, Saatgut zu produzieren und wie gut die Schweiz im Ernstfall dastehen würde.

Rudolf Herren, wie wird man Saatgutzüchter?

Die Grundlage bildet eine Ausbildung zum Landwirt EFZ oder eine gelichwertige Ausbildung. Danach ist der Besuch eines Grundkurses für «Saatgutvermehrer mit Prüfung» Pflicht. Der Betriebsleiter kann dann die Mitgliedschaft bei einer der 10 Vermehrungsorganisationen von Schweizer Saat- und Pflanzgut erlangen. Im Normalfall gehen die Anteilscheine und somit die Mitgliedschaft mit der Betriebsübergabe auf den Nachfolger über. Bei der Saatzucht Düdingen (SGD) wird eine Kandidatin oder ein Kandidat erst nach dreijähriger Probezeit und Eignung definitiv aufgenommen.

Wie war es in deinem Fall?

Ich persönlich habe mein EFZ im Jahre 1987 abgeschlossen und nach den Winterkursen Fachschule in Grangeneuve die praktische und theoretische Eignungsprüfung zum Saatzüchter erhalten. Vor 25 Jahren konnte ich dann den elterlichen Betrieb in Lurtigen übernehmen und wurde damit Produzent und Genossenschafter der SGD. Auf meinem Betrieb wird seitdem Saatgut für Kartoffeln, Brotweizen, Triticale und Eiweisserbsen produziert. Bis zur Fusion (1990) mit Düdingen hatten wir in Merlach unsere eigene «Saatzuchtgenossenschaft des Seebezirks» mit 43 Mitgliedern. Aktuell zählt die SGD 179 Mitglieder, die auf 2063 Hektaren Saat- und Pflanzgut produzieren. 

Was sind die Besonderheiten daran?

Landwirtschaftsbetriebe, die Saatgetreide oder Saatkartoffeln produzieren, haben die Schwerpunkte bei der exakten Bewirtschaftung und beim optimalen Schutz und Pflege der Kulturen. Dies damit die produzierte Ware dem Reglement des Schweizerischen Saatgutproduzenten- Verbandes entspricht und somit auch in den Handel gebracht werden kann. Dieses Reglement stützt sich auf das Landwirtschaftsgesetz (Saatgutverordnung) und regelt die Lieferungskontrolle, die Anforderung an Qualität und die Organisation der Kontrolle.

Nur gesundes und qualitativ hochwertiges Saatgut darf mit der staatlichen Zertifizierungsetikette verkauft werden.

Dies garantiert auch die Sortenechtheit und die Sortenreinheit sowie eine hohe Keimfähigkeit und beste Gesundheit der ausgesäten oder ausgepflanzten Kultur. Für die Abnehmer ist dies die Grundlage für vitale und ertragsreiche Kulturen im Folgejahr.

Was ist der Unterschied zum einem (gewöhnlichen) Landwirten?

Nebst der Zusatzausbildung zum Saatzüchter und der bereits erwähnten sauberen Arbeitsweise ist dies eine nur Spezialisierung des Ackerbaus mit etwas höherer Wertschöpfung. Diese Produktionsart ist auch eine Art Berufung, die normalerweise in der Familientradition weitergegeben wird.

Einige Eindrücke von der Arbeit eines Saatzüchters

Woher stammt das Saatgut, das du züchtest?

Das Basissaatgut für unser Getreide wird oft von der Delley Samen und Pflanzen AG (DSP) gezüchtet, geprüft und in die Vermehrung gebracht. Als Sortenzüchter für Getreide, Soja, Mais, Futterpflanzen und Gemüse steht die DSP im Besitz der vier grossen Vermehrungsorganisationen und des Schweizerischen Saatgutproduzentenverbandes. Je nach Vermehrungsstufe des Getreides kommt das Ausganssaatgut auch von Züchten aus dem europäischen Ausland. Für Kartoffeln sind die Hauptzüchter in Holland, Deutschland und Frankreich tätig. 

Was passiert mit dem Saatgut nach der Ernte?

Das Saatgetreide wird auf die gleiche Wiese geerntet wie Brot- oder Futtergetreide. Grösste Vorsicht ist hier bei der Sortenreinheit mit sauberen Erntetanks und Transportmitteln. In unserer Region wird die Ware ein paar Tage oder Wochen nach der Ernte in Düdingen abgeliefert, gereinigt und gelagert. Der Wassergehalt der Getreidekörner darf 15 Prozent nicht übersteigen. Das Getreide wird kurze Zeit später bereits abgesackt, weil das Wintergetreide von September bis November bereits wieder ausgesät wird. Bei der Saatkartoffelernte gibt es Produzenten, die selbst Lager haben oder andere die direkt nach Düdingen liefern. Anfangs November werden die Kartoffeln sortiert und an die Speisekartoffelproduzenten vertrieben. Die Organisation, Logistik und Abrechnung übernimmt in unserem Fall die SGD.

Wie lange ist das Saatgut haltbar?

Das produzierte Getreide-Saatgut wird für Wintergetreide im Herbst oder bei Sommergetreide im Folgejahr ausgesät. Körner könnten theoretisch bis zu zehn Jahren gelagert werden. Die Kartoffeln werden immer im folgenden Frühjahr ausgepflanzt, weil diese nicht mehrjährig haltbar oder lagerbar sind.

Wie lange könnte sich die Schweiz im Ernstfall selbst versorgen?

Bei der Versorgung mit Basissaatgut für Saatzüchter, auch weil wir keinen Schweizer Kartoffelzüchter haben, ist die Eigenversorgung nicht gewährleistet. Hier werden wir immer auch auf Importe angewiesen sein. Da ganz Europa ein schwieriges Erntejahr hinter sich hat, könnte die Beschaffung von ausreichend Saatgut für Veredelungszwecke zur grossen Herausforderung werden. In der Schweiz wird aktuell von 1300 Landwirten auf 9000 Hektaren Saat- und Pflanzgut produziert. Bei rund 47`000 Schweizer Landwirtschaftsbetrieben haben ihre Produktion also nur 2,7`Prozent so ausgerichtet haben.

Die Schweizer Saatzüchter konnten bisher nahezu 100 Prozent des benötigten Saatguts für Speisekartoffeln- und Getreideproduzenten selbst produzieren. In Anbetracht dessen, dass wir bei Nahrungsmitteln einen Selbstversorgungsgrad von 50 Prozent haben, ist diese Aussage zu relativieren. Im Krisenfall, mit gravierenden Importerschwernissen, wäre die Lage sicherlich sehr prekär und der Bund müsste Alternativlösungen suchen.

Da wir Schweizer sehr starke Devisen haben, findet sich aber meist ein Land, das die uns mangelnden Lebensmittel verkauft.

Dies manchmal zum Leidwesen der eigenen Selbstversorgung und oft ohne besondere Rücksicht auf Natur und Umwelt. Da die Schweizer Produzenten viel höhere Infrastruktur-, Personalkosten und allgemeine Auflagen haben, ist die Ware auch dem Preis- und Lohnniveau der Schweiz entsprechend. Die Vermarktung und Marge von Importware ist daher für Handel und Grossverteiler meist lukrativer als für unsere lokalen Produkte.