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Generationen im Dialog: Gespräch mit der 100-jährigen Hedwig Fink

Hedwig Finks Lebensphilosophie unterscheidet sich wohltuend von der unserer hektischen und schnelllebigen modernen Gesellschaft.

von Esther Zangger
am
Hedwig Fink auf einer Ägyptenreise im Jahr 1960

Hedwig Finks Lebensphilosophie unterscheidet sich wohltuend von der unserer hektischen und schnelllebigen modernen Gesellschaft.

Im Gespräch mit der 100-jährigen Murtnerin kristallisierten sich essenzielle Werte wie eine positive Lebenseinstellung, Humor, Liebe, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Dankbarkeit und Respekt heraus.

Positive Lebenseinstellung, Humor und Liebe

«Ich bin am 1. April 1923 zur Welt gekommen - das ist kein Scherz!», eröffnet Hedwig Fink lachend das Gespräch.  Die lebenslustige Murtnerin wuchs in einer Zeit ohne Fernsehen, Handy und Internet auf. Für sie waren Eistee, Fertigmenüs und Dosengetränke Fremdwörter. Ein eigenes Zimmer hatten nur die wenigsten Kinder, Sackgeld und Spielplätze kannte man nicht, Kinder spielten draussen mit Murmeln, Ästen und Blättern und halfen auf den Feldern mit.

Ihre Jugend erlebte Hedwig Fink während des mehr als sechs Jahre dauernden zweiten Weltkriegs. Trotzdem strahlt sie Heiterkeit und Gelassenheit aus. Sie betont eine positive Lebenseinstellung: «Man muss lernen, gewisse Dinge zu akzeptieren und nach vorne zu schauen». Sie sei dankbar für ihr Glück, noch selbständig in ihrer Wohnung leben zu können. «Für mich ist zum Beispiel das Ritual wichtig, jeden Morgen zuerst Haushaltsarbeiten zu erledigen, bevor ich die Wohnung verlasse».

1990 starb ihr Mann Manfred Paul Fink, den sie 1946 geheiratet hatte. «Als er starb, sagte ich ihm, er solle auf mich warten», erzählt Hedwig Fink. «Er fragte mich, wo er warten solle und ich antwortete, in Honolulu». Lachend fährt sie fort: «Als er fragte, wieso ausgerechnet dort, antwortete ich ihm: wegen der Hula-Tänzerinnen, damit es dir nicht langweilig wird, bis ich komme. Er lachte, machte die Augen zu und schlief friedlich für immer ein».

Hedwig Fink hat drei Kinder grossgezogen. Eigentlich wünschte sie sich deren sechs. «Aber als ich drei bekommen hatte, sagte mein Arzt ‘Stopp’», lacht sie. Moderne Mütter sind heute wegen ihren Jobs und Hobbies permanent unter Druck. «Obwohl man die heutigen modernen Hilfsmittel nicht kannte und an sechs Tagen in der Woche arbeitete, kannte man keinen Stress», so Hedwig Fink. «Angestellte hatten nur am Sonntag frei, man traf sich in Vereinen, ging in die Kirche, ins Theater oder auf Jahrmärkte».

Die heutigen Mütter sollten laut Hedwig Fink strenger sein und ihren Kindern klare Regeln und Grenzen setzen. Sie betont: «Kinder benötigen Aufmerksamkeit, aber heutzutage schauen Mütter lieber auf ihr Handy». Auch seien Job und Geld für sie oft wichtiger. «Mütter sollten sich mehr um ihre Kinder kümmern, wenn sie schon welche haben». Hedwig Fink ist dafür, mehr Dankbarkeit zu zeigen, besonders auch für Kleinigkeiten. Sie selbst praktiziert Dankbarkeit täglich: «Jeden Abend bete ich und danke für alles Gute in meinem Leben».

Abenteuerlust

Mit dem in der Deutschschweiz früher üblichen ‘Welschlandjahr’ fing es an, später folgten längere Reisen an weiter entfernte Orte. Inzwischen hat Hedwig Fink fünf Kontinente besucht. Erlebt hat sie viel auf ihren Reisen, zumal es früher ungewöhnlich war, wenn junge Frauen allein reisten. In Erinnerung sei ihr unter anderem ‘coast to coast’ von New York nach Los Angeles. »Da wollte mich ein etwa 14-jähriger Junge heiraten», schmunzelt sie. «Oder 1949 las mir in New York ein Inder aus der Hand und meinte, dass ich 100 Jahre alt werde». Das habe sie nicht ernst genommen. «Ich nehme einfach ein Jahr ums andere».

«Meine Kinder organisierten an meinem 100. Geburtstag ein kleines Fest im Café Monnier», erzählt Hedwig Fink. «Eigentlich mag ich keinen Trubel – aber es war schön». Mit einem herzhaften Lachen fügt sie hinzu: «Deshalb bin ich an meinem 90. Geburtstag in den Schwarzwald geflüchtet.» Lange Reisen sind heute zu anstrengend für sie, aber sie ist immer noch zu Fuss unterwegs. «Ich gehe regelmässig ins Stedtli und treffe mich mit Leuten».

Hedwig Fink an ihrem 100. Geburtstag

Politisch interessiert

Hedwig Fink interessiert sich für Politik und verfolgt das aktuelle Geschehen laufend via Zeitung und Fernsehen. Früher hatte sie noch keinen Fernseher in ihrem Haushalt. «Anlässlich der olympischen Sommerspiele 1972 in München kaufte mein Mann einen Schwarzweiss-Fernseher», erinnert sie sich. «Ich war dagegen und meinte, solange ich den Haushalt führe, kommt mir keine solche 'Kiste' ins Haus. Aber letztlich liess ich mich überreden. Ich bin ja schliesslich kein Ungeheuer», sagt sie schmunzelnd. Während der Olympiade habe sie die Zeit dann aber lieber in der Bibliothek verbracht.

Für die Zukunft wünscht sich Hedwig Fink bescheiden: «Dass es keinen Krieg mehr gibt und die Menschen zufrieden sind».

Unsere Region wünscht Hedwig Fink weiterhin alles Gute und gute Gesundheit und dankt herzlich für ihre Offenheit und inspirierenden Worte.