uR Kids: Das Geheimnis der verschwundenen Wunscherfüllungskraft - Kapitel 24 / 1
Teil 1 - Das letzte Rätsel
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Teil 1 - Das letzte Rätsel
Teil 1
«Warum?», fragte Pippa, und Joel, der gerade zum Sprint angesetzt hatte, bremste ab.
Joel kniete sich hin, nahm den Schlüssel vorsichtig heraus und dachte dabei an die grünen Herzblätter des alten Baumes. Gleichzeitig spürte er, wie Ungeduld in ihm aufstieg.
Kormi flatterte mit einem eleganten Schwung auf die Reling des Schiffes und beobachtete ihn still.
Nachdem Joel den Schlüssel in seine Jackentasche gesteckt hatte, kletterte er an Bord. Das Schiff wirkte noch genauso verlassen wie zuvor.
«Und was machen wir jetzt?», fragte Joel und schaute sich suchend um.
Kormi flog auf das hölzerne Steuerrad. «Ihr müsst in den Laderaum; in einer Ecke, hinter Seilen und Fässern, findet ihr eine grosse Truhe. Sie ist die Lösung zur Wunscherfüllungskraft», krächzte er.
Sofort stürmte Joel los, während Pippa sich auf seiner Schulter festklammerte. Wo vorher nur Dunkelheit geherrscht hatte, brannten jetzt flackernde Laternen und warfen schwaches Licht auf die alten Fässer und Jutesäcke. Dazwischen fanden sie schliesslich die versteckte Truhe. An jeder ihrer vier Ecken befand sich ein Schloss.
«Das ist eure letzte Prüfung», sagte Kormi und sein weisser Büschel zuckte. «Seid bereit!».
Mit entschlossenem Blick steckte Joel den gelben Schlüssel in das erste Schloss, aber nichts passierte.
«Nicht so schnell!», sagte Kormi. «Schau zuerst auf den Kompass. Dann schau dir die Schlüssel ganz genau an. Und dann die Schlösser.»
Joel sah auf den Kompass, dessen silberne Feder jetzt auf das grüne Auge zeigte.
«Ihr müsst die Bedeutung der Symbole verstehen, nur so könnt ihr die Wunscherfüllungskraft finden», sagte Kormi geheimnisvoll.
Joel überlegte einen Moment. Dann sagte er aufgeregt: «Auge - sehen!»
Pippa setzte sich auf eines der Schlösser. «Vielleicht geht es nicht darum, etwas zu sehen, sondern um etwas, das wir NICHT sehen können?», überlegte sie laut.
«Etwas, das wir nicht sehen können, aber tief in uns fühlen…», ergänzte Joel leise.
Während er zu Pippa schaute, fiel ihm auf, dass das Schlüsselloch des Schlosses, auf dem Pippa sass, die Form eines Auges hatte.
Er betrachtete die Schlüssel genauer – der Bart des grünen Schlüssels hatte die Form eines Auges! «Das gibt’s doch nicht!», rief Joel und steckte den Schlüssel ins Schloss. Sofort sprang es auf.
«Puuuuh...!», atmete das Schiff erleichtert auf und ruckelte für einen kurzen Moment.
«Wow! Wow! Wow!», entfuhr es Joel.
«Pssst!», mahnte Kormi. «Du weckst die Geister des Sees!»
Joel hielt sich die Hand vor den Mund und schaute erneut auf den Kompass. Diesmal blieb die Feder auf dem roten Herz stehen. «Ein Herz bedeutet, jemanden gern zu haben», sagte Joel.
Pippa flatterte zu Joel und setzte sich mitten auf seine Nase. «Es bedeutet auch, sich selbst zu mögen und es bedeutet Freude und Spass!», piepste sie und flog kichernd im Kreis. «Jipppppie!».
Da begann eines der Schlösser laut zu pochen, es klang wie Herzklopfen. Joel steckte den Schlüssel mit dem roten Bart hinein. Kaum geöffnet, umfing ihn eine sanfte Wärme, es fühlte sich an, als würde ihn jemand tröstend umarmen. «Wir sind der verlorenen Wunscherfüllungskraft ganz nah, das spüre ich!», flüsterte Joel.
«Weiter!», forderte Pippa.
Die Feder tanzte jetzt zur gelben Waage. «Gleichgewicht!», piepste Pippa und balancierte wackelig auf einem der noch verschlossenen Schlösser.
Joel nahm nochmals den gelben Schlüssel, aber er sah darauf keine Waage. Doch dann bemerkte er auf jeder Seite dieselben Symbole in der gleichen Reihenfolge eingraviert: Auge, Herz, Waage, Träne und Schildkröte.
Gerade als Joel überlegte, in welches der Schlösser der gelbe Schlüssel gehörte, begann eines davon langsam hin und her zu pendeln. Gleichzeitig begann das ganze Schiff zu schaukeln.
«Oh nein, nicht schon wieder…», seufzte Joel und rollte mit den Augen.
Um nicht hinzufallen, klammerte Joel sich an die grosse Truhe, als er plötzlich etwas durchs Bullauge entdeckte: Im Wasser tauchte ein dunkler Schatten auf, dicht gefolgt von einer schimmernden, regenbogenfarbenen Flosse. Mit einem lauten ‘Platsch!’ verschwand sie im nächsten Moment auch schon wieder.
Joel kniff die Augen zusammen und hielt den Atem an. War das etwa…? Einen kurzen Augenblick schoss ihm durch den Kopf, dass seine Mutter gesagt hatte, es bringe Glück, eine Meerjungfrau zu sehen. Joel blinzelte, doch als er wieder hinausschaute, war da nur noch Wasser.
Als das Schiff und das pendelnde Schloss wieder stillstanden, öffnete Joel es mit dem gelben Schlüssel. Sofort purzelten unzählige gelbe Blümchen heraus und ein süsser Duft zog durch den Raum. Der Duft erinnerte Joel an die Honigmilch, die ihm seine Mutter zubereitete, wenn er nicht schlafen konnte. Plötzlich hatte er Heimweh und dachte an seine kleine Schwester Meli. «Die Waage ist da, um Dinge fair zu verteilen», sagte er nachdenklich.
Pippa schwebte währenddessen von Blüte zu Blüte und probierte den süssen Nektar. «Mhhhh, viel besser als Elefantenkekse…», sagte sie schlürfend. Dann setzte sie sich neben Kormi und piepste: «Auch wir müssen im Gleichgewicht sein: zu viel Freude überdreht uns und zu viel Wut macht uns unglücklich.»
Kormi blickte erstaunt zu ihr und nickte anerkennend mit dem Kopf.
Joel schmunzelte und schaute wieder auf den Kompass. Jetzt war die Feder auf der weissen Träne zum Stehen gekommen.
«Träne… weinen…» überlegte Joel.
«Und traurig sein», sagte Pippa schmatzend.
Kormi legte seinen Kopf schräg und sagte: «Und es bedeutet, stark genug zu sein, um zu weinen». Während er sprach, tropfte eine silberne Träne aus seinem Augenwinkel.
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