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«Krankenkassenprämien sind eigentlich eine Kopfsteuer»

So brachte es Pierre-Yves Maillard Mitte April in Murten auf den Punkt. Er stellt in seinem Referat den rund vierzig Anwesenden in einer knappen Stunde die Prämien-Entlastungs-Initiative vor. Und er wies auf die Unterschiede zur Kostenbremse-Initiative hin. Denn am 9. Juni kommen gleich zwei Initiativen zum gleichen Thema an die Urne.

von Alexander Schroeter
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Pierre-Yves Maillard, als ehemaliger Gesundheitsminister der Waadt ein profunder Kenner der Materie. (Bild: asr)

So brachte es Pierre-Yves Maillard Mitte April in Murten auf den Punkt. Er stellt in seinem Referat den rund vierzig Anwesenden in einer knappen Stunde die Prämien-Entlastungs-Initiative vor. Und er wies auf die Unterschiede zur Kostenbremse-Initiative hin. Denn am 9. Juni kommen gleich zwei Initiativen zum gleichen Thema an die Urne.

Maillard hatte gute Gründe, sich mit viel Enthusiasmus für die Initiative der SP einzusetzen. Der gewichtigste Grund ist wohl, dass dieses System der Deckelung der Krankenkassenprämien in seinem Heimatkanton bereits eingeführt ist und gut funktioniert.

Im ersten Teil seines Referates skizzierte Maillard die Sachlage und legte dar, dass die Krankenkassenprämie im Kern eine Kopfsteuer darstellt. Will heissen: jede volljährige Person ist verpflichtet, den gleichen Betrag zu bezahlen. Bei der Einführung des Krankenkassen-Obligatoriums wurde prognostiziert, dass die Belastung für jede Person nicht über 8 Prozent des Einkommens steigen werde. Heute – so ein Beispiel, das Maillard für den Kanton Freiburg vorrechnete – können die Krankenkassenprämien bis zu 17 Prozent des Einkommens ausmachen.

Prozentuale Entwicklung im Vergleich: Während es bei den Einkünften moderat bis sehr moderat aufwärts ging, legten die Krankenkassenprämien deutlich mehr zu. (Screenshot aus: https://www.bezahlbare-praemien.ch/)

Ein Beispiel
Maillard geht von einer Situation aus, dass ein pensioniertes Ehepaar die maximale AHV-Rente bekommt – rund 5000 Franken – davon gehen rund 900 Franken an die Krankenkasse. Zieht man vom verbleibenden Betrag die Miete resp. die Wohnkosten und die Steuern ab, bleiben unter 1000 Franken für die sonstigen Bedürfnisse. So das Rechnungsbeispiel.

Die grosse Diskrepanz gegenüber anderen Steuern ist zudem, dass im schweizerischen System Steuern eine Sache des gemeinsamen Aushandelns sind: Kein Kanton, keine Gemeinde kann ohne Volksabstimmung Steuern erhöhen. Und genau diese Kontrolle fehle bei den Krankenkassenprämien: Die Prämienerhöhungen werden jährlich rein technisch berechnet und dann eingefordert, eine parlamentarische oder demokratische Kontrolle gebe es nicht.

Dies widerspricht nicht zuletzt auch dem liberalen Verständnis unserer Wirtschaftsordnung: Wer etwas bezahlt, kann dafür etwas beziehen. Bezahlt man mehr, darf man auch mehr erwarten. – Nicht so bei den Krankenkassen-Prämien: Diese steigen zwar, die einzelne Prämienzahlende bekommt aber deswegen nicht mehr fürs Geld. Ganz im Gegenteil werden gelegentlich Angebote aus dem Grundversicherungskatalog gestrichen.

Es gehe darum, den Systemfehler zu korrigieren. Dies sei ein mehrstufiger, aber dringend nötiger Prozess. Die SP-Initiative mache den Anfang.

Und weshalb sollte man der Initiative zustimmen: Maillard bringt vor allem ins Spiel, dass die Kosten beim Beibehalten des aktuellen Systems auf alle Fälle steigen werden. Die von der Gegnerschaft ins Feld geführten zusätzlichen 12 Milliarden Franken kommen ohnehin. Die Frage ist nur, wer diese Mehrkosten tragen muss: Jede und jeder einzelne durch weiter steigende Prämien – oder dann in Zukunft der Bund und die Kantone.

Christophe Savoy (l.) und Chantal Müller (r.), das abtretende Co-Präsidium der SP See, danken Pierre-Yves Maillard wird für seinen Abstecher nach Murten. (Bild: asr)

Wie viele Stunden zählt ein Tag?
Der Bund hätte dann Druck, substanzielle Sparmassnahmen durchzusetzen. So bringt Maillard ein Beispiel ein, wonach durch das aktuelle Tarifsystem in der Medizin gewisse Spezialist:innen Leistungen von bis zu 27 Stunden pro Tag verrechnen können – und dies offenbar auch machten. Eine Limite von beispielsweise 12 Stunden pro Tag festzulegen, wäre ein grosser Schritt.

Maillard zählt noch zahlreiche andere mögliche Massnahmen auf. Aber wichtig sei für ihn, wie eingangs erwähnt, dass die Schweiz sich davon verabschiedet, das Gesundheitswesen zu einem substanziellen Teil über eine Kopfsteuer zu finanzieren, für die weder eine Obergrenze noch eine demokratische Kontrolle existiere.

Wie geht’s weiter?
Maillard wagt auch einen kurzen Blick in die Zukunft: Bei Ja zur Prämien-Entlastungs-Initiative am 9. Juni wird zunächst gar nichts ändern. Die Idee der Initiative könnte frühestens in den Jahren 2027, 2028 umgesetzt werden. Bis dann werden die Krankenkassen-Prämien munter weiter steigen. – Bei einem Nein werden die Prämien hingegen auch darüber hinaus permanent steigen.

Alexander Schroeter, Regionaut