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In der letzten Ausgabe von Let's Talk stand der Unternehmer Gerhard Andrey Frage und Antwort

von Kathrin Aebi
am

Die letzte Let’s Talk-Runde, organisiert vom Wahlkomitee SP/Grüne See im Vorfeld der Gemeinderatswahlen am 26. September 2021, widmete sich dem schwierigen Thema Wirtschaft. Was steckt hinter diesem Begriff? Was bedeutet er für unsere Region? «Arbeitsplätze schaffen», wäre wohl die häufigste Antwort, würde man eine Umfrage starten. Aber hinter dem allgemeinen Begriff Wirtschaft steckt viel mehr, wie sich in der Diskussionsrunde herausstellte, zu der Gerhard Andrey als Gast eingeladen worden war. Julia Senti, Mitglied des Wahlkomitees, leitete die Diskussion.
 
Die Wirtschaft wird unter anderem von Unternehmen gestaltet. Gerhard Andrey ist selber Unternehmer und wurde gefragt, welche Rahmenbedingungen es für die Gründung einer eigenen Firma brauche? «Die Schweiz ist attraktiv für Selbständige», erklärte er. Es gebe keine Hindernisse, um ein Unternehmen zu gründen, und damit wurde es gleich politisch, denn die Politik stelle mit ihren Gesetzen und Verordnungen die Rahmenbedingungen für Jungunternehmer und alteingesessene Firmen. Dann kam das Aber. Als Nationalrat für die Grünen Schweiz sei sein Verantwortungsbewusstsein für den ökologischen Fussabdruck seines Unternehmens stark ausgeprägt. Dies würde jedoch von der Politik nicht eingefordert. Derzeit beruhten alle Aktivitäten für den Klimaschutz, für den Schutz von Natur und Umwelt, auf Freiwilligkeit. Die meisten, die sich dafür einsetzten, machten es in der Regel nicht aus Überzeugung, sondern aus Imagegründen. Durch die Politik würde positives Verhalten nicht belohnt werden und Verstösse nicht geahndet. Wer wollte, könnte so lange wie er wolle Heizöl verbrennen, jedenfalls so lange, bis ein höherer Preis ein Umdenken bei ihm auslöste. Deshalb sei er zu den Grünen gegangen, weil er wolle, dass jedes Verhalten einen Preis bekomme. Die Klimabewegung mit seinen jungen Aktivisten*innen habe der Gesellschaft einen Spiegel vorgehalten, das stimme ihn optimistisch, dass ein Umdenken begonnen habe.
 
Er sei deshalb froh, dass es bald zur Abstimmung über das CO2-Gesetz komme. Das Gesetz ist die Grundlage dafür, dass das von der Schweiz mitunterzeichnete Klimaabkommen eingehalten werden kann. Würde das Gesetz nicht angenommen werden, würden wir den Anschluss in der Welt verlieren, würde sich die Schweiz unglaubwürdig machen, erklärte Gerhard Andrey. Ausserdem finde er es wichtig, dass der Finanzmarkt in die Pflicht genommen werde und seine Anlagestrategien offenlegen müsse (siehe «Finanzplatz Schweiz auf dem Weg zum fossilen Klima-Schlusslicht?»). Die Schweiz importiere jährlich fossile Rohstoffe für CHF 8 Milliarden. Ziel der Schweiz müsse sein, den Ausbau alternativer Energien voranzutreiben, um die Energiewende zu schaffen. Aus Sonne und Wind Energie zu erzeugen sei alternativlos, denn die Wasserkraft sei nicht weiter ausbaufähig. Nachdenklich schloss er mit der Aussage, dass das Gesetz noch nicht gewonnen sei. Niemand auf der politischen Bühne wolle aktuell eine Diskussion darüber führen, was passiere, wenn es nicht angenommen würde!
 
Gebeten zu schildern, was er über die Wirtschaft im Seebezirk denke, erklärte er nach kurzem Nachdenken, dass er das Seeland mit Freizeit, Tourismus, Gemüse und Landwirtschaft und der Feinmechanik, also der jurassische Uhrenindustrie, assoziiere. Die Region sei «unglaublich attraktiv», aber jede einzelne Sparte bringe ihre eigenen Probleme mit sich, die die Politik vor Herausforderungen stelle. In Bezug auf die gross angelegte Gemüseproduktion und die Landwirtschaft sei an die bevorstehenden Abstimmungen über die Pestizid- und Trinkwasserinitiativen erinnert. Seiner Meinung nach müsste die Landwirtschaft ein vitales Interesse daran haben, ökologischer zu produzieren. Das im Seeland produzierte Gemüse sollte die Menschen ernähren, nicht die tierischen Erzeugnisse, für die die Futtermittel importiert werden müssten. Der Verkauf von Fleischersatzprodukten sollte mehr beworben und das Angebot ausgebaut werden. Es gibt junge Start-ups, die auf diesen Zukunftsmarkt setzen (Beispiel www.planted.ch).
 
Zum Tourismus brachte Gerhard Andrey sein Bedauern darüber zum Ausdruck, dass weder Murten Tourismus noch die regionale Politik gewillt seien, gegen den Autoverkehr und die damit verbundene Umweltverschmutzung und den Lärm etwas zu unternehmen. Vom «Zeltplatz in Sugiez bis ins Murtner Städtli» wimmele es an einem schönen sonnigen Sonntag von Autos und Motorrädern. Deshalb wünsche er sich, dass Murten Tourismus mehr auf die Natur setze und auf die denkmalgeschützte historische Altstadt. Die Politik müsste dafür die Rahmenbedingungen schaffen in Form einer nachhaltigen Verkehrspolitik. Zu dieser gehörten der Langsamverkehr mit Tempo-30-Zonen in Wohngebieten und im Stedtli, Shuttle-Busse beispielsweise für Besucher*innen, Ausbau von Miet-Velo-Stationen usw. Es gäbe so viele nachhaltige Möglichkeiten, aber die Akteure vom Tourismus und der Politik hätten keine Visionen, wagten keine Veränderungen, was er unglaublich schade findet.
 
Gefragt, ob er politische Gräben sehe: die Unternehmer setzten mehr auf die FDP, die aber mehr am Status Quo festhielten und wenig von Veränderungen hielten? Gerhard Andrey reagierte und sagte, dass auch die linksdominierten Freiburger Politiker*innen nicht «über ihren Tellerrand» schauen könnten, weshalb er mehr auf die Unternehmen setze, die schneller umdenken und zukunftsorientierter wirtschaften könnten. Die Covid-19-Pandemie habe gezeigt, wie Unternehmen kreativ auf die neue Situation reagiert haben. Es sei ganz viel möglich, wenn es ums Überleben ginge.
 
Gebeten, seine Position zur Abstimmung über die blueFACTORY Freiburg SA zu erläutern, erklärte er, dass es um eine Kapitalerhöhung ginge und nicht um eine Investition. Er sei dafür, dass aus einer Industriebrache etwas Innovatives entstehen solle und kein weiteres Spekulationsobjekt. Die Stadt Freiburg würde durch die geplanten alternativen Wohnformen attraktiver werden (z.B. auf Genossenschaftlicher Basis) und der Kanton bekäme ein nachhaltiges Vorzeigeprojekt.
 
Abschliessend wurde Gerhard Andrey gebeten über die Unternehmensform von «LIIP» zu berichten, das Unternehmen, das er 2007 gemeinsam mit zwei weiteren Männern und einer Frau gegründet hat. Er erhielt dafür drei Stichworte: Rollenverteilung / Vaterschaftsurlaub / Teilzeitmodelle. Gerhard Andrey erläuterte, dass es aktuell 188 Mitarbeiter*innen gebe, für deren Arbeit kein fixes Stellenprofil existiere, sondern jeder das mache, was er am besten könne, eingeteilt in «Rollen». Insgesamt gebe es neun Rollen, grössere und kleinere, aus denen sich schlussendlich das Arbeitspensum ergebe. Seit der Firmengründung könne ein männlicher Mitarbeiter vier Wochen bezahlten Vaterschaftsurlaub beantragen. Das Unternehmen sei ISO-zertifiziert und die Auditoren hätten ihm und den anderen Eigentümer*innen eine hohe Mitarbeiterzufriedenheit bestätigt. Darüber seien sie sehr froh und stolz.