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Politik /Kommentar
Kathrin Aebi

Ursula Schneider Schüttel und Manfred Wolf diskutieren über die kommenden Initiativen

Die Let's Talk-Runde vom 25. März drehte sich vor allem um die Trinkwasser- und die Pestizidinitiative, die beide im Juni vors Volk kommen.

Die Let's Talk-Runde vom 25. März drehte sich vor allem um die Trinkwasser- und die Pestizidinitiative, die beide im Juni vors Volk kommen.

Unter der Leitung von Pascal Känzig (Pfarrer und Co-Präsident der Grüne See, Generalrat der SP/Grüne-Fraktion in Murten) fand am 25. März eine weitere Let's Talk-Runde zum Thema Landwirtschaft, Umwelt und Trinkwasser statt. Die Gäste: Ursula Schneider Schüttel (Nationalrätin SP, Vize-Stadtpräsidentin Murten und Präsidentin von Pro Natura) und Manfred Wolf (parteiloser Gemeinderat in Ried & Bio-Bauer, Mitinitiant der Pestizid-Initiative).

Die Diskussionen des Abends waren vor allem geprägt von den beiden Initiativen, die im Juni vom Volk entschieden werden dürfen: zum einen die Trinkwasser-Initiative und zum anderen die Pestizid-Initiative. Zwei schwere Brocken, die den Gemüsebauern und Bauern den Angstschweiss auf die Stirn treiben und vom Bauernverband verteufelt werden, wie die aktuell aufgestellten Plakate gegen die Initiativen beweisen.

Den Anfang machte die Frage des jeweiligen beruflichen Werdegangs der beiden Gäste und wie sie zu ihrem Engagement für die Umwelt und die Natur gekommen sind.

Manfred Wolf berichtete, dass sein Vater als Gemüsekontrolleur gearbeitet habe und sein Onkel in unmittelbarer Nachbarschaft zu ihrem Haus in Ried gewohnt und einen Bauernhof mit Tieren und Gemüseanbau betrieben habe. Er sei oft bei ihm gewesen und habe ihm geholfen. Fasziniert habe er einmal der Geburt eines Kälbchens beigewohnt, und da sei ihm klar geworden, dass auch er einmal in die Landwirtschaft einsteigen werde. Als er die Lehre gemacht habe, sei bio noch kein Thema gewesen. Aber der stete Einsatz von Kunstdünger und chemischen Spritzmitteln habe in ihm die Frage aufkeimen lassen, ob das auf Dauer der richtige Weg sein könne. Später habe er bei einem Bio-Bauern in Fräschels ausgeholfen und das habe ihm die Augen geöffnet. Als sein Onkel seinen Hof aufgegeben habe, sei er eingestiegen. Seit 1992 betreibe er den Hof über bio, habe die Landfläche durch Hinzupachten benachbarter Grundstücke auf 50ha erweitert und beschäftige heute 50 Mitarbeiter.

Zur Frage, was den Unterschied zwischen bio und nicht-bio ausmache, antwortete Manfred Wolf, dass der Hauptunterschied im Verbrauch von Dünger und Spritzmitteln bestehe. Beim Bio-Anbau werde versucht, die Einheit mit der Natur zu finden und wichtige natürliche Helfer (Insekten, Bioorganismen) im Boden und in der Umgebung nicht zu vernichten. Trotzdem bedeute bio nicht automatisch giftfrei.

Ursula Schneider-Schüttel sei schon als Kind mit Begeisterung in der Natur unterwegs gewesen und habe sich für die Tiere und Pflanzen interessiert. Durch ihre Grosseltern wurde sie stets ermahnt, auf die Natur zu achten, dort keine Schäden anzurichten, oder Abfall liegen zu lassen. Durch ihre Arbeit als Juristin in der Baudirektion sei sie mit Schäden durch Lärm, Erschütterungen, Verdichtung, Elektrosmog u.a. konfrontiert gewesen. Zur Landwirtschaft sei sie erst durch ihre Arbeit in der Umweltkommission des Nationalrats gekommen. Hier lagen dann ihre Themenschwerpunkte bei den Auswirkungen von Verunreinigungen der Umwelt und der Gewässer, die durch Mikroplastik hervorgerufen werden. Mikroplastik entsteht vor allem durch den Reifenabrieb unserer Kraftfahrzeuge (www.bafu.ch). Erschüttert habe sie die Berichte über ganze Inseln von Plastikabfällen in den Weltmeeren (www.wwf.ch), die zur Folge haben, dass Mikroplastik in die Nahrungskette gelange, mit noch nicht absehbaren Auswirkungen auf die Gesundheit (www.greenpeace.ch).

Auf die Frage, ob sie als Gegner der Landwirtschaft beschimpft würden, erklärte Manfred Wolf, dass er froh sei, dass es jemanden gebe, der sich um den Naturschutz kümmere. Ebenso sei es sehr wichtig, dass Sonderzonen im Grossen Moos eingerichtet worden seien (Anmerkung der Autorin: Biotopverbund Grosses Moos, www.biotopverbund.ch). Wenn man etwas erreichen wolle, müsse man brüllen, sonst würde man nicht gehört. In der Schulzeit 86-89 sei er auf dem Töff durchs Moos gefahren und sei keinem Tier begegnet. Das ändere sich langsam wieder.

Ursula Schneider-Schüttel ergänzte, dass sie gegen Vorwürfe dieser Art gute Argumente habe, gerade als Präsidentin von Pro Natura Schweiz (www.pronatura.ch), der grössten Eigentümerin von Landschaftsschutzgebieten. Um diese Gebiete zu betreuen, benötige es die Zusammenarbeit mit Bauern und Bergbauern. Die positiven Auswirkungen auf die Biodiversität in diesen Gebieten würden ausreichend Argumente bieten. Die Landwirtschaft sei die Basis unseres Lebens und spiele daher eine grosse Rolle. Dennoch müsse es dabei auch um den Landschaftsschutz gehen.

Manfred Wolf wies darauf hin, dass es bei Konfliktlösungen auf ausgewogene Kompromisse ankomme, damit beide Seiten damit leben könnten. Auch er, dessen Arbeit im Grossen Moos stattfindet, müsse die Touristen akzeptieren und mit ihnen Kompromisse eingehen. Jedoch könne er mit egoistischem Verhalten Einzelner und ihren teilweise extremen Forderungen nichts anfangen, die machten ihn wütend.

Weiter wurde Manfred Wolf gebeten, zu schildern, was ihn angetrieben habe, bei der Pestizidinitiative mitzuhelfen: Er erklärte, dass wir in die falsche Richtung laufen, dass wir auf Dauer das Kulturland verseuchen und die offenen Fliessgewässer ebenfalls. Ohne eine Kehrtwende, die die Initiative fordert, laufen wir Gefahr, grosse Umweltprobleme zu bekommen. Es geht um die Sicherstellung der Nahrung und sauberen Trinkwassers unserer und vor allem der nachfolgenden Generationen, also unserer Kinder und Enkel. Ursachen sind neben der Landwirtschaft auch das Einbringen von Mikroplastik in die Böden und Gewässer durch den Reifenabrieb. Als Gegenargument werde gesagt, dass es anderswo grössere Probleme gäbe als hierzulande. Aber soll uns das daran hindern, unser eigenes Handeln zu hinterfragen und zu ändern? Nein, das dürfe es nicht.

Jedoch seien alle gefordert: die Landwirte, die Händler und die Konsumenten. Letztere hätten die grösste marktregulierende Macht, wenn sie konsequent regionale und nachhaltig produzierte Produkte kauften. Wenn Coop oder andere Händler aussersaisonale Früchte anböten, wie aktuell Melonen, Weintrauben und Spargel, dann muss sich jede*r Konsument*in die Frage stellen, wo diese produziert werden, unter welchen Bedingungen und wieviel Energie beim Transport in die Schweiz aufgebracht würden.

Dann erinnerte Manfred Wolf daran, dass 80% der fliegenden Insekten ausgestorben seien, weil sie durch den Pestizideinsatz getötet würden oder keine Nahrungsquellen (Blumenwiesen z.B.) mehr fänden. Über eine Zusammenkunft des Initiativ-Komitees mit dem Bauernverband sagte Manfred Wolf, dass man einen Kaffee serviert bekommen habe mit der Anmerkung, dass sie zu keinem Kompromiss bereit seien. Und dann seien sie wieder gegangen. Ihm und den anderen Initianten ginge es darum, eine breite Diskussion anzuregen, ohne die es keine Änderungen geben werde.

Ursula Schneider-Schüttel wurde gebeten, ihre Meinung zu den beiden Initiativen zu äussern. Sie erklärte, dass sie gleicher Meinung sei wie Manfred Wolf, wonach sich etwas ändern müsse. Sie erinnerte an den 2017 in die Verfassung aufgenommenen Artikel 104a über die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln aus vielfältiger und nachhaltiger einheimischer Produktion. Dieser umfasse fünf Pfeiler, darunter den Schutz des Kulturlands und des Wassers. Die Produktion von Lebensmitteln soll den örtlichen Gegebenheiten angepasst und auf den Markt ausgerichtet sein und von staatlichen Subventionen unabhängig gestaltet werden.

Der Bauernverband stelle die Selbstversorgung in den Vordergrund, die Ökologie jedoch in den Hintergrund, was die Initiativen ändern wollen. Denn wenn die Bodenorganismen kaputt seien, wachse nichts mehr auf den Feldern. Oder wenn die letzten Insekten gestorben seien, würden die Obstbäume nicht mehr bestäubt werden und es gäbe keine Ernten. (Der Autorin kam ein angebliches Einstein-Zitat in den Sinn, das besagt: «Wenn heute die letzte Biene stirbt, stirbt in vier Jahren der letzte Mensch»).

Auch die Tierproduktion in der Schweiz müsse auf den Prüfstand. Um den aktuellen Tierbestand zu erhalten, müsse Futter aus dem Ausland hinzugekauft werden. Das widerspreche dem Verfassungsartikel 104a, also der Selbstversorgung. Würde der Tierbestand reduziert, könnte auf dem freiwerdenden Land Futter angebaut werden, um die Tiere mit heimischem Futter zu versorgen, oder Höfe unterstützen sich gegenseitig. Im Umkehrschluss seien wir als Konsument*innen gefordert, unseren Fleischkonsum zu überdenken und dem Angebot anzupassen. Sie erinnerte in dem Zusammenhang daran, dass pro Jahr 800’000 Tonnen an Food Waste anfielen aus den unterschiedlichsten Gründe wie: zu viel eingekauft, mangelndes Wissen über Haltbarkeitsdaten, keine Lust auf das, was vorrätig ist...

Eine Teilnehmerin der Talk-Runde berichtete von ihrem Bruder, der eine Schweinemast betreibe und aus Angst vor der Annahme der Initiativen nicht mehr schlafen könne. Sie fragte, was sie ihm raten solle?

Manfred Wolf antwortete und sagte, dass sie ihren Bruder zu ihm schicken könne, er würde ihm sagen, dass er weitermachen könne wie bisher, oder seinen Betrieb auf Bio-Vollmast umstellen. Bauern lebten nicht in einer geschützten Werkstatt, sondern müssten sich ständig den sich ändernden Umständen anpassen. Ihr Bruder sei sicher jung und dynamisch und könne, wie jeder Unternehmer auch, nach Lösungen suchen. Es brauche immer Engagement und Herzblut, ein Unternehmen zu führen. Zu den Initiativen sagte Manfred Wolf, dass er vor der Trinkwasser-Initiative Respekt hätte, vor der Pestizid-Initiative müsse sich aber niemand fürchten, da eine 10- jährige Übergangsfrist vorgesehen sei.

Ursula Schneider-Schüttel ergänzte, dass es für beide Initiativen lange Übergangsfristen gäbe, die den Betrieben die Möglichkeiten bieten, sich den neuen Bedingungen anzupassen. Die Politik werde bei einer Annahme Gesetzestexte verfassen, die eine realistische Umsetzung beinhalteten. Es ginge darum, Zeichen zu setzen, damit sich etwas ändere, gerade in Zeiten, in denen sich der Nationalrat weigere, über eine neue Landwirtschaft-Politik zu diskutieren, weitermachen wolle wie bisher und die gleichen Gelder verteile wie bisher.

Manfred Wolf ergänzte mit der Aussage, dass die Gemüsebauern gut ohne Direktzahlungen leben könnten, was Landwirte, die Getreide anbauten oder anderes, nicht könnten. Deshalb müssten einerseits diese Abhängigkeiten und andererseits die Verteilungsmechanismen geändert werden.

Auf die Frage eines Teilnehmers, wie sich bei Annahme der Initiativen die Preise ändern würden:  Manfred Wolf erinnerte daran, dass derzeit nur 7 Prozent des Einkommens für Essen und Trinken ausgegeben würden, vor 100 Jahren seien es 25 Prozent gewesen. Shoppen, Reisen, ein neues Auto oder Handy seien wichtiger geworden. (Anmerkung der Autorin: Für sozial schwache Menschen, die sich weder das eine noch das andere leisten könnten, gäbe es die Lebensmittelbons bei der Gemeinde für kostenloses Essen. In der Region würde davon zu wenig Gebrauch gemacht werden, laut Aussage von Isabelle Bohrer, Sozialdienst Murten).

In der weiteren Diskussion wurden Fragen zu alternativen Zuchtmethoden unter Einsatz der Gentechnik aufgeworfen. Dazu reagierte Manfred Wolf mit der Aussage, dass für ihn die Saatgutbeschaffung das Hauptproblem sei, wodurch die Sortenvielfalt begrenzt würde. Diese brauche es aber. Es gäbe nur noch drei Grosskonzerne in Europa, die 90 Prozent des Saatgutes verkauften: Bayer-Monsanto, BASF und Syngenta. Wenn man gute, resistente Sorten kaufen wolle, müsse man sich an kleine Firmen wenden.

Ursula Schneider-Schüttel ergänzte, dass alte Sorten, die resistenter gegen Schädlinge sind als die Neuzüchtungen, wieder vermehrt angepflanzt werden sollten. Problematisch seien eingeschleppte Schädlinge, die die Produzenten vor neue Herausforderungen stellten, wenn der Pestizid-Einsatz verboten sei.

Dennoch müssten sich alle Beteiligten bei aller Problematik die Frage stellen, ob wir heute entscheiden wollen, das Trinkwasser weiter mit Pestiziden zu belasten, für die Abwasserreinigung immer mehr Geld auszugeben und dennoch Gefahr zu laufen, die Pestizidrückstände irgendwann nicht mehr aus dem Trinkwasser heraus zu bekommen!? Denn dann haben wir, bzw. künftige Generationen, ein grösseres Problem.

Zum Schluss wiederholte Manfred Wolf seine bereits gemachte Aussage, dass die Initiativen eine breite Diskussion auslösen sollen, gemeinsam nach Lösungen zu suchen und zu ringen, denn mit einem Weiter-wie-bisher machen wir die Umwelt kaputt, was unsere Kinder einmal ausbaden müssen.

Ursula Schneider-Schüttel schloss mit ihrer Hoffnung, dass sich viele für die Initiative einsetzten und ihnen zustimmten.