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Von Galgenvögeln, Schwarzröcken und geflügelten Handwerkern

Martin Schilts Dokumentarfilm «Krähen» trägt den Untertitel «Nature is watching us». Dass die Rabenvögel uns beobachten, zeigen seine Aufnahmen eindrücklich. Die faszinierenden Tiere folgen dem Menschen seit Jahrtausenden, kopieren und spiegeln uns – und profitieren von uns und unseren Entwicklungen.

von Kerstin Heine
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Martin Schilts Dokumentarfilm «Krähen» trägt den Untertitel «Nature is watching us». Dass die Rabenvögel uns beobachten, zeigen seine Aufnahmen eindrücklich. Die faszinierenden Tiere folgen dem Menschen seit Jahrtausenden, kopieren und spiegeln uns – und profitieren von uns und unseren Entwicklungen.

Nachdem mich alle Arten von Rabenvögeln schon Zeit meines Lebens faszinieren, war für mich der Besuch des Films «Krähen» am Open Air Murten keine Frage. Erst kürzlich hatte ich mich mit den Kolkraben auf dem Vully beschäftigt. Nun durfte ich für 90 Minuten in die Welt der Krähen und Raben eintauchen.

Der Regisseur empfing das Publikum mit einer kurzen Begrüssung und ging auf einige Fragen ein, die ihm öfters begegnen. Es war zum Beispiel aufmerksamen Beobachter*innen nicht entgangen, dass im Film keine Schweizer Krähen als Akteurinnen vorkommen. Martin Schild begründete das damit, dass Film-Aufnahmen von Rabenvögeln eine besondere Herausforderung darstellen, die nicht immer und überall gelingt.

Denn die klugen Tiere bemerken sofort, was der Mensch im Schilde führt. Und statt sich beobachten zu lassen, beobachten sie oftmals selbst aufmerksam die Menschen beim Versuch, sie zu beobachten. Da nützen auch feine Nüssli als Lockmittel nicht – die Tiere sind unbestechlich, wenn es um ihre Sicherheit und Privatsphäre geht.

Was beim Erzählen belustigt, erschwert einem Tierfilmer sehr die Arbeit. Und erklärt, warum die Aufnahmen für diesen Film ganze vier Jahre beansprucht haben. Immerhin, so Schild, sind Schweizer Krähen zu hören. Denn einige Filmaufnahmen eines Wiener Drehortes wurden mit Tonaufnahmen von Fricktaler Krähen aus dem Jura «synchronisiert». Glücklicherweise ist diese «Mogelei» für uns nicht störend, denn wer von uns kann schon den Wiener Krähen-Dialekt vom Fricktaler unterscheiden?

Menschliche Sprachen können wir dagegen gut erkennen, wenn auch nicht alle gut beherrschen. So war die Konzentration des Publikums gefordert, denn der Film ist in deutscher, englischer und japanischer Originalsprache gesprochen und mit französischen Untertiteln ergänzt. Gedreht wurde in der Schweiz, Österreich, Kanada, Deutschland, Grossbritannien, Indien, Japan, Neukaledonien und den USA.

Von Wissenschaftlern bis zu Krähenjägern kamen verschiedene Akteure zu Wort. Besonders interessant waren für mich die Arbeit und persönlichen Beobachtungen des Zoologen Bernd Heinrich, Professor an der Maine-University (US). Der Naturwissenschaftler zeigt sich fasziniert von den intelligenten Vögeln und studiert ihr Verhalten u. a. in den Wäldern von Maine. Sein Fazit: «Sie werden dumm geboren, was sie auf lange Sicht klug werden lässt, weil sie offen für verschiedene Möglichkeiten sind. Sie wurden nicht programmiert, sie haben gelernt.»

Die hohe Lernfähigkeit, Intelligenz und facettenreiche Kommunikation dieser Tiere bringt viele zum Staunen:

Alexander Busch, Krähenjäger, Göttingen (DE):
«Die können halt extrem gut Dinge verknüpfen. Als Beispiel, man fährt mit dem Auto rum, hält an, steigt aus, legt aus dem Auto an und schießt auf eine Krähe, das erleben die einmal oder maximal ein zweites Mal, dann kennen die genau dieses Auto.»

John M. Marzluff, Professor für Biologie, University of Washington (US):
«Sie sind ständig auf der Suche nach Möglichkeiten, sei es nach einem Partner, Platz oder Informationen über andere Ressourcen in ihrer Umgebung, und sie kommunizieren wild darüber. Ich bin sicher, dass sie an ihren Schlafplätzen alle möglichen Dinge sagen, von denen wir keine Ahnung haben.»

Loma Pendergraft, Doktorand Biologie, University of Washington (USA):
«Ich würde gerne herausfinden, wie sie kommunizieren. Schließlich beschäftigen sich Wissenschaftler seit Jahrzehnten mit der Kommunikation und den Lautäusserungen amerikanischer Krähen, und es gibt immer noch so viel, was wir nicht wissen.»

Matthias Loretto, Verhaltensbiologe, Max-Planck-Institut (DE):
«Zwischen den Raben gibt's auf jeden Fall eine sehr ausführliche Kommunikation, die wir bei weitem noch nicht verstehen. Die haben ein riesen Ruf-Repertoire und da glaube ich schon, dass die sehr gut gewisse Informationen übertragen können.»

Die Familie der Rabenvögel umfasst eine breite Spanne von 123 Arten. Sie reicht vom gut 60 cm grossen Kolkraben über die wegen ihrer grossen Brutkolonien eher unbeliebte Saatkrähe bis zur nur rund 35 cm grossen Dohle reicht, die wir täglich rund ums Schloss beim Spiel beobachten können.

Ganz besonders beeindruckt haben mich die Neukaledonienkrähen, auch Geradschnabelkrähen genannt. Sie sind die grossen Stars der Krähenforschung, denn sie sind als einzige Spezies neben uns Primaten dazu imstande, Werkzeuge zu entwickeln und zu benutzen. Sie bauen sich beispielsweise unglaublich präzise und gekonnt Haken aus kleinen Zweigen, die sie so zurecht formen, dass sie sich damit fette Käfer-Larven aus Baumlöchern angeln können.

Christian Rutz, Professor für Biologie, St. Andrews University (UK) attestiert dieser Art:
«Nach allem, was wir wissen, sind neukaledonische Krähen die einzige Spezies neben dem Menschen, die den Haken erfunden hat.»

Krähen und Raben bleiben für mich ein Faszinosum. Sie begleiten und beobachten uns seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte. Sie folgen uns, weil wir die besten Jäger, die grausamsten Krieger, die grössten Ausbeuter, die verschwenderischsten Konsumenten sind. In unserer Nähe gibt es immer genug zu fressen. Fast überall, wo Menschen leben, gibt es auch Rabenvögel.

Und es werden immer mehr!

Informationen:

www.crows.film

Trailer "Krähen"