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Kultur /Weihnachtszeit
Brigitte Kaufmann

Weihnachtsgeschichte am Dienstag

Der weise Friedensengel Maximilian war mit seiner Geduld fast am Ende:
„Ihr beiden Streithähne verschwindet jetzt sofort in den himmlischen Paketversand. Dort helft ihr den Geschenkengeln bei der Rohrpost. Ihr schaut, dass nicht zu viele Pakete zur Erde sausen, sonst sind die Speditionsengel dort unten überfordert und haben ein Durcheinander bei der Lieferung!“ Maximilian hielt an jeder Hand einen kleinen, zappelnden Jungengel am Ohrläppchen fest. Die beiden wanden sich unter dem starken Griff und wollten schon wieder aufeinander losgehen. „Karlheinz ist schuld“, wetterte der Blondgelockte im hellblauen Engelskleid! „Nein, Adalbert ist schuld“, zischte der Schwarzgelockte im weissen Kleid. Die beiden Bengel, die eigentlich Engel sein sollten, waren nicht zu beruhigen.
Inzwischen kamen ein paar weitere Himmelsboten dazu. „Gib ihnen doch ein paar Tropfen himmlisches Ritalin“, flüsterte ein nervöses Engelchen. „Nein, schick sie zu Petrus, der wird ihnen die Leviten lesen“, meinte der Engel aus dem Archiv. „Sie könnten zu mir in die himmlische Gärtnerei kommen. Ich würde sie bei jedem Streit mit kaltem Wasser abspritzen.“ Der Engel mit der grünen Schürze schmunzelte.
 „Schick sie auf die Erde, dann sind wir die beiden los! Dort wird so viel gestritten, da passen sie hin.“ Es wurde mucksmäuschenstill. Der weise Friedensengel Maximilian schaute den grauhaarigen Oberengel an. „Salomon, das ist eine wunderbare Idee. Wir schicken Engel Karlheinz und Engel Adalbert mit der Rohrpost auf die Erde. Dort müssen sie lernen, Streit zu schlichten, um somit die Welt etwas friedlicher zu machen.
Also!“ Der Friedensengel wandte sich wieder an die beiden Streitengel. „Hier gebe ich euch ein Säcklein Sternenstaub mit. Eine Prise beruhigt streitende Menschen sehr bald.  Bei schweren Fällen oder kriegerischem Geschehen könnt ihr nur helfen, wenn ihr euch fest an den Händen fasst und gemeinsam eure ganze positive Kraft einsetzt. Ihr werdet schon herausfinden, wie dies geht. Und nun, marsch in den Paketversand und runter auf die Erde.“
Wie dies geschehen war, wussten die beiden Jungengel später nicht mehr. Nur dass sie zwischen bunten Paketen die Rohrpost hinuntergesaust waren und unsanft auf einer verschneiten Strassenkreuzung landeten.

Was sich dort abspielte, verwirrte sogar unsere streiterprobten Engel. Auf der Strasse standen zwei ineinander verkeilte Autos. Ein Mann und eine Frau schrien sich gegenseitig an. Die Frau wollte dem Mann gerade eine Ohrfeige verpassen. „Schnell den Sternenstaub!“ Engel Karlheinz schaltete sofort und warf etwas davon auf die beiden Streithähne. Da brach der Mann zusammen und fing bitterlich an zu weinen. Dies wiederum brachte die Frau so durcheinander, dass sie den Mann zu trösten versuchte.
Es sei ja alles nicht so schlimm und es hätte ja nur Blechschaden gegeben und überhaupt, es hätte schlimmer ausgehen können.
Engel Adalbert und Engel Karlheinz schauten einander verblüfft an. „Wieso haben die himmlischen Kollegen es bei uns nicht mit Sternenstaub versucht?“
Die Antwort musste warten, denn vom nahen Schulhaus ertönte lautes Geschrei.
Eine Gruppe von Jugendlichen schlugen aufeinander ein.
Eine Nase blutete bereits. Diesmal reagierte Adalbert blitzschnell und warf etwas Sternenstaub auf die Kampfhähne.
Mit grossen Schritten kamen zwei Lehrer gelaufen. „He, sofort aufhören, hört ihr!
Die Taschen wurden gefunden, hier ist niemand ein Dieb!“ Ausser Atem kamen sie bei den Jugendlichen an. Diese schauten einander verschämt an, standen auf, klopften sich den Schnee von den Kleidern und gaben sich wenig später sogar die Hand.
„Das ist ja ein Wunder!“ Engel Karlheinz schaute seinen Engelskollegen erstaunt an. „Wir zwei können Frieden bringen, kannst du dir das vorstellen? Ausgerechnet wir beiden Streitbengel. Ich war immer so wütend auf dich, dass ich nur mit dir streiten konnte und jetzt bin ich mit dir als Friedensengel unterwegs. Wer kann das glauben.“ Engel Karlheinz schüttelte ungläubig den Kopf. „Mir geht es genauso“, Engel Adalbert erwiderte den Blick von Karlheinz. „In den himmlischen Gefilden hätte ich mich am liebsten jeden Tag mit dir geprügelt, so sehr gingst du mir auf den Wecker. Wieso, weiss ich eigentlich auch nicht mehr genau.“

Schweigend gingen die beiden Jungengel eine Weile nebeneinander her.
„Hat es wohl bei uns auch so schlimm ausgesehen, wie vorhin bei den Jugendlichen?“ Engel Adalbert schauderte. „Das wäre ja furchtbar.“
„Unsere Engelskollegen hatten ja Nerven aus Stahl, dass sie uns solange aushielten.“
Engel Adalbert und Engel Karlheinz philosophierten noch eine Weile über Streit und Frieden. Inzwischen hatten sie sich auf eine Bank gesetzt, denn auch Engel können müde werden. Vor allem jene, die für den Frieden unterwegs sind. Dies ist auf der Erde eine ungemein anstrengende Arbeit.

Auf der Nachbarsbank regte sich etwas. Laute Stimmen drangen zu den Engeln herüber.
„Und immer brauchst du mir zu viel Haushaltsgeld!“ „Du musst ja recht essen, sonst fällst du mir noch auseinander!“ „Wenn du mir nicht immer allen Dreck ins Haus schleppen würdest, könnten wir einmal im Wald eine Cervelat braten!“ „Das fehlt gerade noch, solche ungesunden Würste! Die habe ich im Militär genug gegessen.“ „Immer schimpfst du!“ „Das muss man ja bei dir!“
Bei dem älteren Paar schien der Haussegen schief zu stehen.  Unsere beiden Engel reagierten gleichzeitig blitzschnell und warfen den Sternenstaub auf die beiden. Diese waren sofort wie ausgewechselt.
„Aber Liebling, was streiten wir so viel? Wir sind ja schon alt und sollten lieber zueinander schauen. Und eigentlich kochst du ja sehr gut, vielleicht möchte ich es auch so gut können und bin einfach eifersüchtig.“
Engel Karlheinz und Engel Adalbert grinsten einander an. Die beiden alten Menschen hatten ja eine gehörige Portion Sternenstaub abbekommen. Bei der Dosierung mussten sie wohl noch üben. Aber es war schön, den neu gewordenen Frieden zu erleben.
Die beiden Friedensengel waren nun eine ganze Weile auf der Erde und erlebten viel Leid und Streit. Vom Sternenstaub hatte es immer gleichviel im Säcklein und darum konnten unsere beiden Engel viele Momente des Friedens schaffen.
Manchmal mussten sie sich ganz fest an den Händen halten und ihre ganze positive Energie einsetzen, um einen Streit zu schlichten, oder einen Krieg zu beenden. So wie es ihnen der grosse Friedensengel Maximilian geraten hatte.
Unser Engel Karlheinz und unser Engel Adalbert waren nun richtige Friedensengel geworden und bekamen von den himmlischen Heerscharen sogar Verlängerung, um auf der Erde zu wirken. Das war auch nötig, denn die Arbeit ging ihnen nie aus.
Vielleicht haben auch wir in dieser Weihnachtszeit das Glück, hin und wieder ein bisschen Sternenstaub in die Nase zu bekommen. Dann können wir uns gewiss sein, dass die beiden Friedensengel Adalbert und Karlheinz unterwegs sind und sich um Frieden auf Erden bemühen.

Glückliche und friedliche Weihnachten!