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Buchtipp: «Die Wahrheit über Eva» - Wie sie ins "Laufgitter" kam

Ein dickes Sachbuch, das optimal zum 50-jährigen Gedenken an die Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz passt: Mit «Die Wahrheit über Eva» legen Kai Michel und Carel van Schaik nach dem «Tagebuch der Menschheit» einen zweiten dicken Schmöker vor. Ein Buch mit Potenzial, einem die Augen zu öffnen und zu zeigen, dass vieles, was man als alltäglich und normal betrachtet, oft zufällig gewachsen und nicht auf ewig unveränderbar ist: Auch in Bezug auf die Rollen von Frau und Mann.

von Alexander Schroeter
am
(Bild: www.rowohlt.de)

Ein dickes Sachbuch, das optimal zum 50-jährigen Gedenken an die Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz passt: Mit «Die Wahrheit über Eva» legen Kai Michel und Carel van Schaik nach dem «Tagebuch der Menschheit» einen zweiten dicken Schmöker vor. Ein Buch mit Potenzial, einem die Augen zu öffnen und zu zeigen, dass vieles, was man als alltäglich und normal betrachtet, oft zufällig gewachsen und nicht auf ewig unveränderbar ist: Auch in Bezug auf die Rollen von Frau und Mann.

Die «Wahrheit über Eva» wartet mit einer grossen Faktenfülle auf, ist aber nicht wissenschaftlich kompliziert geschrieben. Aufgelockert wird die Lektüre einerseits, indem die Autoren mit etwas Schalk immer wieder mit den Leser*innen spielen. Hinzu kommt die selbstkritische Haltung der Autoren: Sie treten nicht an, die Leser*innen von ihren Ansichten zu überzeugen. Hingegen regen sie mit ihren Ausführungen permanent an, dass man sich seine Schlüsse aus den dargelegten Fakten selbst ziehen soll.

Die Kernaussage der «Wahrheit über Eva» könnte man so umschreiben: Die Ungleichheit zwischen Frau und Mann, die gibt es. Dass deswegen Frau und Mann nicht den gleichen Wert oder nicht das gleiche gesellschaftliche Ansehen haben, das ist hingegen nicht biologisch gegeben, sondern wurde kulturell so geprägt.

Jäger*innen werden sesshaft

Als den entscheidenden Auslöser der Abwertung der Frau entlarven van Schaik und Michel jene Epoche der Menschheitsgeschichte, in der vor rund 12'000 Jahren die jagenden und sammelnden Familienclans allmählich sesshaft wurden, den Getreideanbau erfanden und dadurch soziale Ungleichheit entstand. – Wem es damals gelang, Land in Besitz zu nehmen, hortete dieses von nun an und verwaltete die Erträge und Überschüsse. Er musste diese verteidigen. Und sowohl für die neue Produktion wie für die Verteidigung des Besitzes war er auf viele helfende Hände angewiesen.

Das Sesshaft-Werden und die vergleichsweise regelmässige – wenn auch einseitige – Ernährung führten dazu, dass der Fruchtbarkeitszyklus der Frau regelmässiger wurde. Unter diesen Bedingungen wurden Frauen nun auf die Funktion von – ich bitte, mir diesen unschönen Begriff zu verzeihen – Gebärmaschinen reduziert. In Zeiten lückenhaften Wissens in Sachen Hygiene und Medizin war aber jede Schwangerschaft ein gesundheitliches Risiko. Frauen waren jetzt permanent mit Schwangerschaft, Geburt und – sofern sie diese überlebten – Kleinkindpflege beschäftigt und somit in der gesellschaftlich-politischen Öffentlichkeit kaum mehr präsent.

Gemäss den Autoren stellt das Sesshaft-Werden eine Art Dammbruch dar: Das Zusammenleben der Menschen stand plötzlich vor grossen Herausforderungen. Beim Bewältigen der Probleme zahlten oft die Frauen die Zeche.

Der Menschheitskrimi und seine Opfer

Van Schaik und Michel entwickeln keine eigene Theorie, sie bringen einfach Fakten zusammen: Statistisch ausgewertete Analysen prähistorischen Erbgutes, Schädel- sowie Kultstätten-Funde, Heilige Schriften längst vergangener aber auch heute noch aktueller Religionen und Kulturen und anderes mehr. Dank der Kombination dieser Fakten aus den unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen liest sich das Buch fast wie ein Krimi; die Fragen: Wer war's, und wie kam's? begleiten den Leser Seite um Seite. – Und so erzählt die «Wahrheit über Eva», wie kultur- und menschheitsgeschichtlich betrachtet die Frau – wie man in Anspielung an Iris von Rotens Publikation von 1958 sagen könnte – ins "Laufgitter" kam.

Zwei kleine Nachträge: Wer die Zeit für die 619 Seiten nicht freischaufeln kann, dem sei das Kapitel 15 empfohlen, in dem man sich quasi das Destillat einiger zentraler Fakten des Buches zu Gemüte führen kann.

Und dann noch dies: Wer jetzt vermutet, die Autoren würden eine altbekannte Suppe aufkochen und alle Frauen zu Opfern und alle Männer zu Tätern machen, der täuscht sich. Sicher haben vor allem Frauen einen hohen Preis bezahlt und bezahlen ihn zum Teil noch heute. Aber unter den Opfern dieser langen Geschichte befinden sich auch viele Männer – die Sachlage ist definitiv komplizierter, als man auf den ersten Blick meinen könnte.

Ich wünsche gute Lektüre!