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Eine Weihnachtsgeschichte

von Brigitte Kaufmann
am

Diese Geschichte hat sich in der Weihnachtszeit zugetragen. Vor Jahrzehnten, als es noch kein Internet gab, kein Facebook oder Twitter und keine Handys. Die Kinder wurden nicht mit dem Schulbus oder mit dem Auto in die Schule gefahren, obwohl der Weg manchmal weit war und der Schnee hoch lag. Am Morgen wurden die nassen Skihosen, Handschuhe, Mützen und Jacken an die Heizkörper im Schulzimmer gehängt. Bald hörte man die Kinder in der wohligen und feuchten Wärme rechnen und lesen. Meistens zwei oder drei Klassen zusammen, wie es an den kleinen Orten üblich war. Während der Mittagszeit blieben die Kinder im Schulhaus und assen eine warme Suppe.

An Weihnachten gab es nicht viele Geschenke. Etwas für die Schule, Kleider und manchmal Spielzeuge. Für die älteren Mädchen Besteck oder Frotteetücher für die Aussteuer. Immer ein Stück pro Weihnachten. Der Rest wurde dann an der Hochzeit nachgeliefert. Es wäre jetzt gewagt, zu behaupten, dass diese Zeit besser war. Sie war einfach anders.

Der Weihnachtstag war da. Die Weihnachtsstimmung in der Schule mit den Liedern und Geschichten, die Düfte zuhause und die Vorfreude machten Elisabeth ganz zappelig. Am Morgen war sie mit dem Vater durch den glitzernden, weichen Schnee gestapft, auf der Suche nach einem Weihnachtsbaum. Jetzt in der warmen Stube half sie der Mutter, die Tanne zu schmücken. Schön sah der Baum aus mit den farbigen Kugeln, den roten Kerzen, den goldigen Schoggitannzapfen und dem Engelshaar.

Endlich war die Zeit der Bescherung gekommen. Würde sich Elisabeths Wunsch erfüllen? Sie öffnete ihr Päckchen und hielt einen kleinen, blauen Traktor in ihren Händen. Etwa 15 cm lang, aus Metall, mit einer beweglichen Achse, die ihn lenkbar machte. Die ganze Weihnachtszeit spielte Elisabeth damit. Mit ihrem Bruder baute sie Strassen durch die Wohnung, Tunnels unter dem Ofen hindurch und einen ganzen Bauernhof, der mit dem neuen Traktor bewirtschaftet wurde.

Die Erstklässler, zu denen auch Elisabeth gehörte, durften am ersten Schultag nach Weihnachten jeweils ihr Lieblingsgeschenk in die Schule mitbringen. Elisabeth freute sich, ihren Traktor zu zeigen. Die Mädchen packten ihre Puppen aus, dazu einen kleinen Haarföhn, Schminksachen, Kleidchen, Bürsten und Kämmchen, Haarreifen und sogar eine Perücke zum Frisieren. Und mittendrin stand Elisabeth mit ihrem kleinen, blauen Traktor. Jetzt fing das Gelächter an. Sogar die Knaben machten sich über das "Bubengeschenk" lustig. Doch am meisten schmerzte Elisabeth, wie sogar ihre beste Freundin Barbara den kleinen Traktor spöttisch musterte und sich schliesslich in die Mädchenecke begab. 

Nach der Schule konnte Elisabeth ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie war traurig und enttäuscht. Nicht einmal der Trost der Eltern half. Später im Bett betete sie, der Liebe Gott möge doch Barbara helfen, eine Vorliebe für Traktoren zu entwickeln. Doch diese Bitte wurde nicht erhört. Barbara spielte weiterhin mit Puppen und mied Elisabeth fortan. 

Einmal auf dem Schulweg fragte Josef sie: "Elisabeth, darf ich heute zu dir spielen kommen, du hast vom Christkind einen solch schönen Traktor bekommen?" Josef hatte dreizehn Geschwister und da reichte das Geld nicht immer für Spielsachen. "Ja, magst du denn Traktoren?", fragte Elisabeth zurück. "Und wie!", entgegnete Josef. Die beiden schauten sich in die Augen und lächelten. 

"Genau so war es!", sagte Elisabeth, als sie wie immer an Weihnachten ihrer Enkelin erzählte, wie die Freundschaft zu ihrem Grossvater, der inzwischen viele Jahre tot war, begonnen hatte.